Sonder-Agrarministerkonferenz: PROVIEH legt Alternativkonzept zum Borchert-Papier vor
Am 27. August 2020 findet die Sonder-Agrarministerkonferenz zum Thema Tierwohl statt. Diskutiert wird, ob eine einheitliche Position zu den Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung (Borchert-Papier) gefunden werden kann. PROVIEH begrüßt die grundsätzliche Stoßrichtung der Vorschläge, kritisiert jedoch den Umsetzungsvorschlag hin zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung als unzureichend und teilweise fehlgeleitet. In einem Gegenvorschlag fordert PROVIEH einen schnelleren und echten Umbau der Haltungssysteme, der die rechtlichen Mindestvorgaben überhaupt erst berücksichtigt.
Berlin, 26.08.2020: Morgen beraten die Agrarminister der Länder über die Vorschläge des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung. Der längst überfällige Umbau der Tierhaltung könnte endlich durch umfassende Finanzierungsmaßnahmen wirksam gefördert werden. Anhand konkreter Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung werden die Weichen für neue gesetzliche Mindeststandards in den kommenden Jahrzehnten gestellt. PROVIEH begrüßt die Ergebnisse des Kompetenznetzwerks grundsätzlich und insbesondere das vorgeschlagene Finanzierungsmodell, das vorsieht, den Umbau der Tierhaltung mit einer zweckgebundenen Sonderabgabe auf tierische Produkte gegenzufinanzieren.
Die in dem Papier vorgeschlagene praktische Umsetzung anhand eines konkreten Zeitplans ist jedoch völlig unzureichend und missachtet eine Vielzahl der aufgezeigten Problemfelder.
Dazu Jasmin Zöllmer, politische Leitung bei der Tierschutzorganisation PROVIEH:„Es darf kein Haltungssystem akzeptiert, geschweige denn finanziell gefördert werden, dass Amputationen am Tier, wie das routinemäßige Schwänzekürzen beim Schwein, weiterhin zulässt. Rechtliche Vorgaben, wie das seit 1994 geltende Kupierverbot müssen Maßgabe für die Ausgestaltung von gesetzlichen Mindeststandards sein. Eine gesellschaftlich akzeptierte Tierhaltung muss sich an dem arteigenen Verhalten der Tiere orientieren.“
Sinja Funke, Tierärztin und Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft bei PROVIEH ergänzt:„Der Vorschlag vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung würde weitere 20 Jahre Vollspaltenböden in der Schweinehaltung zur Folge haben. Dieses Haltungssystem ist gesellschaftlich, fachlich und auch rechtlich nicht mehr tragbar. Das System muss sich ändern und nicht allein die Größe der Bucht. Ein echter Umbau der Nutztierhaltung würde zwangsläufig mit einer geringeren Produktion und höheren Wertschöpfung einhergehen. Diese Entwicklung wäre auch umweltpolitisch wünschenswert.“
PROVIEH hat als Antwort auf das Borchert-Papier ein zukunftsfähiges Konzept erarbeitet, mit dem bereits ab sofort Verbesserungsmaßnahmen in der Schweinehaltung umgesetzt werden könnten, die keine Umbaumaßnahmen benötigen. Spätestens ab 2030 würde ein gesetzlicher Mindeststandard eingeführt werden, der den gesellschaftlichen und rechtlichen Anforderungen eher gerecht wird. Konkret sieht das Konzept von PROVIEH vor, die Stufe 1 des Tierwohllabels ab sofort zum gesetzlichen Mindeststandard zu machen und die Stufe 2 mit erweiterten Kriterien ab 2030. Hierdurch kann sichergestellt werden, dass spätestens 2030 das Schwänzekupieren endlich beendet und ein echter Wandel in der Nutztierhaltung vollzogen wird. Landwirte hätten darüber hinaus Planungssicherheit, da das Konzept nicht mehrstufig neue gesetzliche Mindeststandards einführt. Stattdessen sollen Landwirte, die schon heute in darüber hinaus gehende Haltungssysteme mit Auslauf und mehr Platz investieren wollen, mit einer starken Förderung unterstützt werden.
Das Positionspapier von PROVIEH mit dem konkreten Umsetzungskonzept finden Sie hier:
Hintergrund
Das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Rahmen der Nutztierstrategie zur Unterstützung und Beratung eingesetzt.
Das Kompetenznetzwerk für Nutztierhaltung ist zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass bisherige Bemühungen das Tierwohl in Deutschland zu verbessern und damit auch die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen nicht ausreichend waren.
Um den weitreichenden Kritikpunkten aus fachwissenschaftlicher und gesellschaftlicher Sicht zu genügen, bedarf es laut Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung einer Gesamtstrategie. Für die Umsetzung wird allerdings ein Maßnahmenpaket vorgeschlagen, das in der jetzigen Form in großen Teilen ungeeignet ist, die klar benannten zentralen Problemfelder zu lösen. So sieht der vorgeschlagene Zeitplan vor, den gesetzlichen Mindeststandard stufenweise anzuheben und sich dabei an den Kriterien des staatlichen Tierwohlkennzeichens zu orientieren. Hierbei soll die Kennzeichnungsstufe 1 des staatlichen Tierwohlkennzeichens ab 2030 zum gesetzlichen Mindeststandard werden und die Kennzeichnungsstufe 2 ab 2040.
Die Stufe 1 des Tierwohllabels beinhaltet jedoch lediglich minimale Anpassungen innerhalb des bestehenden Haltungssystems, sodass hier keinesfalls von einem spürbar erhöhten Tierwohlniveau gesprochen werden kann. Die Stufendefinition der Stufe 1 würde außerdem bedeuten, dass nicht einmal ab 2030 durch gesetzliche Mindeststandards das seit 1994 verbotene, routinemäßige Schwänzekürzen beendet wäre.
Auch die Kriterien der Stufe 2 des Tierwohllabels sind nicht ausreichend, da sie einen Großteil der Problemfelder in der Schweinehaltung missachten und damit weiterhin gegen das verfassungsrechtlich verankerte Staatsziel Tierschutz verstoßen. Vor diesem Hintergrund ist der vorgeschlagene Zeitplan viel zu unambitioniert. Eine an die Tiere angepasste Haltung wird selbst ab 2040 nicht garantiert, weil lediglich die Stufe 2 des staatlichen Tierwohlkennzeichens bis dahin gesetzlicher Mindeststandard werden soll.
Das staatliche Tierwohllabel mit den für die Schweinehaltung definierten Kriterien ist somit keinesfalls ausreichend und darf nicht allein als Vorlage für die Definition von Tierwohlstufen und die Umsetzung des Umbaus der Tierhaltung dienen. Das Kompetenznetzwerk erläutert hierzu eindeutig, dass die Einhaltung der vorgeschriebenen Maße und die Ausgestaltungen der Haltungsanlagen (wie im Tierwohllabel vorgesehen) kein ausreichendes Tierwohl sicherstellt. Daher sollen Tierwohl- und Tiergesundheitsindikatoren Teil der Zielbilddefinition und der Definition der Tierwohlstufen sein.
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