Berliner Klage vor dem Verfassungsgericht:
Schweinehaltung muss sich ändern!
Das Land Berlin kritisiert die gesetzlichen Vorgaben zur Schweinehaltung und reichte in der zweiten Januarwoche einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein. Unter Justizsenator Dr. Dirk Behrendt wurde von Prof. Dr. Hans-Peter Vierhaus eine 300-seitige Vorlage erarbeitet, welche die gravierenden Missstände aufzeigt.
Schweine, die den Mindestvorgaben der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung entsprechend gehalten werden, können sich nicht ihren Bedürfnissen entsprechend ernähren, pflegen, bewegen und verhalten. Dies widerspricht § 2 des Tierschutzgesetzes. Aus diesem Grund hat der Berliner Senat am 8. Januar 2019 den Normenkontrollantrag beschlossen. Er wird dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zugestellt, sowie auch der Bundesregierung und den Ländern. Ziel des Normenkontrollantrags ist es, die Mindestvorgaben für Schweine der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) für nichtig zu erklären. Für die biologische Haltung sind ein neuer Mindeststandard und höhere Vorgaben nicht relevant, da sie schon höheren Haltungsvorgaben aus der EU-Bioverordnung und den Richtlinien der einzelnen Verbände folgen.
Natürliche Bedürfnisse werden nicht beachtet
Auf der Pressekonferenz am Mittwoch, den 9. Januar 2019 sprachen Dr. Dirk Behrendt, Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Prof. Dr. Hans-Peter Vierhaus, Rechtsanwalt und Diana Plange, Tierschutzbeauftragte des Landes Berlin über die Missstände in den deutschen Schweineställen und den Normenkontrollantrag.
Die folgenden Punkte werden kritisiert:
Ausreichend Platz
Ein Mastschwein von 50 Kilogramm kann auf dem vorgeschriebenen halben Quadratmeter seinem natürlichen Reinlichkeitsbedürfnis von getrenntem Kot-, Liege- und Aktivitätsbereich in keiner Weise nachkommen. Dafür reicht der Platz nicht.
Bequemlichkeitsgebot und Unversehrtheit
Die gesetzlichen Vorgaben lassen es zu, dass Schweine in der intensiven Tierhaltung auf harten Spaltenböden aus Beton gehalten werden, obwohl das für die Tiere eine Qual ist. Durch das tägliche Stehen und Liegen auf den harten Böden erleiden sie Verletzungen und Abszesse. Einstreu oder Gummimatten könnten das Leid der Tiere lindern und das Liegen für die Schweine bequemer gestalten. Damit Schweine ihre natürlichen Bedürfnisse befriedigen können, brauchen sie aber Zugang zum Freien, wo sie wühlen, suhlen und laufen können.
Nahrungsaufnahme
Raufutter, das die Tiere sowohl für ihre Gesundheit als auch ihr Nahrungsaufnahme-Verhalten brauchen, ist nicht vorgeschrieben. Stattdessen wird Breifutter gefüttert, welches schnell verschlungen ist und Verdauungsbeschwerden verursacht.
Geeignetes Beschäftigungsmaterial
Schweine besitzen ein natürliches Bedürfnis danach zu Wühlen. In der Natur verbringen sie mit der Futtersuche und dem Wühlen die meiste Zeit des Tages. Beschäftigungsmaterial wird zwar in der TierSchNutztV vorgeschrieben, die Art des Beschäftigungsmaterials ist aber nicht näher definiert. In der Intensivtierhaltung wird daher kosten- und arbeitssparendes Material verwendet, um den minimalen Anforderungen gerecht zu werden. Verwendet werden oft Ketten, die von der Decke hängen und an deren Ende Holzplatten befestigt sind. Die Holzplatten laden zwar zum Kauen, nicht aber zum Wühlen ein. Die Bedürfnisse des Schweins zum Kauen werden hierdurch lediglich minimal, die zum Wühlen gar nicht befriedigt. Ständig verfügbares Heu und Stroh ist als Beschäftigungsmaterial die deutlich bessere Alternative.
Stallluft
Schadgase von den Exkrementen der Schweine dringen durch die Spaltenböden, auf denen die Tiere stehen und die beißenden Dämpfe belasten die hochempfindlichen Nasen der Schweine. Hinzu kommt, dass die Schweine meist in einem geschlossenen Stallsystem leben, indem sie keine Frischluft bekommen und mit ihren Artgenossen auf engstem Raum gehalten werden. Die in der TierSchNutztV festgelegten Grenzwerte für Schadgase sind aus wissenschaftlichen Erkenntnissen viel zu hoch. Auch bei Einhaltung der Grenzwerte entwickeln Schweine Lungenschäden und leiden unter Atemnot durch die aufsteigenden Dämpfe. Behörden können durch die ungenauen Formulierungen die Schadgas-Werte nicht kontrollieren. In der Tierschutznutztierverordnung §26 Absatz 3 heißt es “Im Aufenthaltsbereich der Schweine sollen folgende Werte nicht dauerhaft überschritten werden”. Die Vorgabe “nicht dauerhaft überschritten” bezieht sich auf einen Zeitwert. Die sowieso schon zu hohen Werte dürfen folglich überschritten werden, solange dies nicht über einen unbestimmten, längeren Zeitraum hinweg der Fall ist. Da Kontrollen in den Betrieben im besten Fall alle 10 Jahre stattfinden, ist die Ahndung überschrittener Schadgas-Werte quasi unmöglich.
Fixierung im Kastenstand
Der Kastenstand ist ein Gittergestell, in dem die Sau im Zeitraum der Ferkelgeburt und -säugung fixiert wird. Dieser Kastenstand wird im Normenkontrollantrag ebenfalls angegriffen. Auch hier werden wesentliche Bedürfnisse der Schweine nicht berücksichtigt. Der Nationale Bewertungsrahmen Tierhaltungsverfahren vom Kuratorium für Bau und Landwirtschaft (KTBL) gibt an, dass die natürlichen Bedürfnisse der Schweine stark eingeschränkt bis nicht ausführbar sind: keine Bewegung, kein Sozialkontakt, das Mutter-Kind-Verhalten wird durch den “Ferkelschutzkorb” gänzlich unterbunden. Allein das Säugen wird der Sau noch genehmigt, da es wirtschaftlich sinnvoll ist.
Nestbaumaterial
Obwohl die Sauen dringend versuchen in ihrer künstlichen Umgebung ein Nest für ihre ungeborenen Ferkel zu bauen, wird ihnen kein vernünftiges Material dafür zur Verfügung gestellt. Die Sauen entwickeln abnormales Verhalten, da sie dieses Urbedürfnis nicht ausführen können.
Ferkelkastration
Die Ferkelkastration ist nicht Teil des Normenkontrollantrags. Senator Dr. Behrendt verspricht, man werde sich auf politischer Ebene weiter für eine Lösung einzusetzen.
Gesundheit
Aus den oben aufgezählten Punkten ergibt sich ein sehr schlechter Gesundheitszustand der Schweine. Durch die hohen Schadgaskonzentrationen in den Ställen leiden Schweine an Lungenverätzungen. Spaltenböden führen zu Verletzungen an den Füßen und Abszesse an den Gelenken, durch das Liegen auf harten Böden. Der geringe Platz, die Fixierung im Kastenstand und das Entziehen der Möglichkeit zur Ausübung natürlichen Verhaltens wie Wühlen, Mutter-Kind-Verhalten und Nestbau verursachen schwere Störungen im Verhalten der Schweine. Abnormales Verhalten wie Stangenbeißen, das Kauen an Schwänzen und Ohren von Artgenossen und Selbstverstümmelung sind die Folge dieser unangemessenen Haltung. Die Bilder davon kursieren regelmäßig in den Medien.
Der Normenkontrollantrag kann es richten
“Das Tier wird in den Mindestvorgaben der TierSchNutztV als funktionsfähiges Ding gesehen, seine Bedürfnisse werden nicht beachtet”, so Prof. Dr. Vierhaus. In vielen wissenschaftlichen Untersuchungen wurde festgestellt, dass durch diese Haltungsform die Grundbedürfnisse der Schweine vollständig oder teilweise zurückgedrängt werden! Nun soll der Normenkontrollantrag ein Verfahren in die Wege leiten, den Schweinen ein besseres Leben zu ermöglichen, so Vierhaus weiter. Dr. Behrendt betont, dass das Essen von tierischen Produkten und die Haltung von Tieren weiterhin beibehalten werden soll. Der Normenkontrollantrag soll die Haltungsbedingungen der Tiere verbessern, sodass Fleisch “wieder mit gutem Gewissen gegessen werden kann”.
PROVIEH begrüßt den Normenkontrollantrag des Berliner Senats. Es ist höchste Zeit, dass gegen die tierschutzwidrigen Bedingungen in den Ställen vorgegangen wird. Das Rechtsgutachten von Bruhn & Wollenteit im Auftrag von Greenpeace hat noch einmal überdeutlich dargestellt, dass die Vorgaben zur Schweinehaltung gegen das Tierschutzgesetz verstoßen. Die natürlichen Bedürfnisse der Tiere so zu unterbinden und in das System zu pressen, dass das einzelne Tier in seinem kurzen Leben nur noch Schmerzen erleidet, ist ein Armutszeugnis für Politik und industrielle Landwirtschaft! PROVIEH fordert schon seit langem Haltungsbedingungen, die natürliche Verhaltensweisen wie Wühlen, Sozialkontakt und Pflege berücksichtigen. Das Schwein ist ein reinliches, intelligentes Tier das Beschäftigung und Sozialkontakte benötigt. Es ist allerhöchste Zeit, dass sich die Tierhaltung nach diesen Bedürfnissen richtet. Damit Schweine wenigstens ihr kurzes Tierleben in Würde leben können, sollte ihm dies ermöglicht werden.
Marie Blesin
Berlin, 09.01.2019