Kampagnenerfolg: EU fordert jetzt intakte Ringelschwänze
Am 8. März 2016 war es endlich soweit: Die EU-Kommission veröffentlichte Leitlinien zur Ausräumung von letzten Interpretationsspielräumen der EU-Richtlinie zum Schutz von Schweinen bezüglich Kupierverbot und Beschäftigungsmaterial. Darin werden die Schweinehalter unter anderem zu Schwanzbeiß-Risikobewertungen, weitreichenden Vorsorgemaßnahmen sowie Erfolgskontrollen angeleitet. Außerdem wird definiert, was unter „angemessenem Beschäftigungsmaterial“ zu verstehen ist: nicht die bisher üblichen Eisenketten oder Plastikspielzeuge, sondern organische wühl-, kau- und fressbare Materialien. Am besten eignet sich Raufutter wie Heu und Silage dazu – die sind nicht nur zur Beschäftigung, sondern auch für die Verdauung optimal!
So kam der Stein ins Rollen
PROVIEH hatte 2009 Beschwerde wegen der Nichteinhaltung der Richtlinie erhoben. Das hätte Nordrheinwestfalen (NRW) und Niedersachsen beinahe Strafzahlungen in Höhe einiger hundert Millionen Euro eingebracht. Sie konnten nur abgewendet werden, weil es sich um ein grenzüberschreitendes Problem handelt: Jährlich werden über zehn Millionen Ferkel aus Dänemark und den Niederlanden bereits kupiert nach Deutschland eingeführt. Aber dieser Weckruf führte unter anderem zum „niedersächsischen Tierschutzplan“, in dem der Ausstieg aus dem Schwanzkupieren bei Schweinen eine sehr wichtige Rolle spielt.
NRW suchte einen intensiven Dialog mit PROVIEH. Wir arbeiteten mit Schweinehaltern, Beratern und Schlachtunternehmen eng zusammen. In Feldversuchen und Projekten gingen wir gemeinsam den Ursachen von Schwanzbeißen und deren Vermeidung auf den Grund und gewannen dabei bahnbrechende Erkenntnisse (siehe Heft 04/2014) Deshalb berief die EU-Kommission auch PROVIEH als einzige deutsche Tierschutzorganisation in ihre Expertengruppe zur Erstellung der jetzt veröffentlichten EU-Empfehlungen zum Kupierverzicht und für die Bereitstellung von Beschäftigungsmaterial.
Enger Zeitplan
Die EU-Kommission gibt den Mitgliedsstaaten nach eigener Auskunft bis Ende 2016 Zeit, um die Empfehlungen bei den Vollzugsbehörden, Verbänden und Schweinehaltern bekannt zu machen. Ab 2017 werden die EU-Inspektoren damit beginnen, die Umsetzung zu überprüfen. Spätestens ab 2018 soll sanktioniert werden.
Im Klartext heißt das: Wer den Schweinen dann weiterhin routinemäßig vorbeugend den Ringelschwanz abschneidet, ohne vorher Mängel in Haltung und Management abgestellt zu haben, muss künftig mit Kürzungen der EU-Subventionen beziehungsweise mit Bußgeldern rechnen. Wenn die Tiere zum Beispiel mehr Platz brauchen als das gesetzlich vorgeschriebene Minimum, damit ihre Ringelschwänze intakt bleiben, muss ihnen dieser zusätzliche Platz gewährt werden. So will es die EU-Richtlinie.
Die EU erlaubt spezielle Ringelschwanz-Förderung
Wichtig ist aber auch, dass endlich alle Ferkelerzeuger und Mäster einen fairen Ausgleich für die notwendigen Tierwohlmaßnahmen bekommen, damit sie Tiere mit ganzen Ringelschwänzen halten können.
Die „Initiative Tierwohl“ (ITW) war von PROVIEH ursprünglich so erdacht und mitkonzipiert, dass sie die Finanzierung intakter Ringelschwänze hätte leisten können und sollen. Aber die Branchenvertreter haben die Initiative derart verändert und der Tierwohl-Fonds ist so unterfinanziert, dass es mit diesen Mitteln allein nicht gelingen kann. Die hiesigen Erzeuger würden im Wettbewerb untergehen, wenn sie auf eigene Kosten die Tierwohlmaßnahmen umsetzen müssten.
Forderungen an Politik und Handel
Deshalb forderte PROVIEH die Bundesregierung unter anderem dazu auf, ab 2017 viel mehr EU-Agrargelder von der ersten in die zweite Säule umzuschichten. Denn laut Beschluss der EU-Generaldirektion Landwirtschaft können die Bundesländer künftig EU-Mittel auch für „Ringelschwanzmaßnahmen“ einsetzen. Der Lebensmittelhandel sollte jetzt seine Einkaufspolitik anpassen und von den Erzeugern ab Januar 2018 intakte Ringelschwänze fordern, wie beim Ausstieg aus der betäubungslosen Ferkelkastration ab 2017 (siehe Heft 3/2015). Die EU-Kommission muss gleichzeitig mit schärferen Kontrollen und Sanktionen unbedingt für faire Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU sorgen.
Blick in die Zukunft
Da unklar ist, wie lange mit EU-Geldern die Einhaltung gesetzlicher Mindeststandards finanziert werden darf, und weil es Tierschutzprobleme auch bei allen anderen „Nutz“tierarten gibt, fordert PROVIEH außerdem die Einführung einer staatlichen Tierwohlabgabe in Deutschland sowie die Kennzeichnung aller tierischen Erzeugnisse nach Herkunft und Haltungsform analog zur Eierkennzeichnung. Denn nur die Kombination aus Transparenz und konsequenten Fördermaßnahmen können den Umbau ermöglichen zu einer nachhaltigen „Nutz“tierhaltung wie ihn PROVIEH und weite Teile der Gesellschaft fordern.
Sabine Ohm