Kampagnenrückblick 2014: PROVIEH feiert Durchbruch für intakte Ringelschwänze
15.12.2014: Gut fünf Jahre nach dem Start der Kampagne für intakte Ringelschwänze von PROVIEH im Jahr 2009 rückt der Ausstieg aus dem routinemäßigen Schwanzkupieren in Deutschland und der EU endlich in greifbare Nähe.
Die drei Bundesländer mit der größten Schweineerzeugung in Deutschland haben für den Kupierverzicht eine Frist gesetzt: In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sollen die Ringelschwänze spätestens ab 2017 ganz bleiben. Viele denken, der Verzicht auf das Kupieren wäre eine Selbstverständlichkeit, weil die EU-Richtlinie zum Schutz der Schweine (2008/120/EG) diesen Eingriff eigentlich nur als Ausnahme erlaubt. Bisher wird das ursprünglich schon 1994 verhängte Verbot gegen das routinemäßige Amputieren der Ringelschwänze aber kaum eingehalten, in Deutschland nur von Neuland- und Biobetrieben.
Die konventionellen Haltungsbedingungen haben sich stattdessen in den vergangenen Jahrzehnten in den meisten Ländern – darunter Deutschland –immer weiter von den natürlichen Bedürfnissen der Tiere entfernt, so dass praktisch „kupiert werden musste“, um dem sonst häufig auftretenden Schwanzbeißen vorzubeugen. Die Vollzugsbehörden haben auf nationaler und auf EU-Ebene bei den Kontrollen jahrelang einfach beide Augen zugedrückt.
Auch die 2001 vorgenommene Verschärfung des Richtlinientextes brachte nur in wenigen Ländern wie Schweden und Finnland positive Veränderungen. In Deutschland wurden die klaren EU-Vorschriften nicht in nationales Recht übernommen, die fordern, den Schweinen ständig geeignetes Beschäftigungsmaterial wie Heu, Stroh usw. bereitzustellen und ungeeignete Haltungsbedingungen so lange zu verbessern, bis man auf das Kupieren verzichten kann. Also verstümmelten die Schweinehalter die Tiere weiter, um sie an die triste Umwelt in den modernen Warmställen auf Betonvollspaltenböden anzupassen: ohne Raufutter (mit nichts als einer alten Eisenkette „zum Spielen“!), ohne Abkühlungsmöglichkeiten und ohne genügend Platz für die Trennung von Kot-, Fress- und Liegeplätzen, von Auslauf ganz zu schweigen. Diese Haltungsbedingungen belasten die intelligenten und empfindlichen Schweine in vieler Hinsicht derart, dass sie sich gegenseitig die Ringelschwänze abfressen oder diese reihenweise abfaulen, wenn man sie nicht schon im Ferkelalter kürzt.
Durch die Klage von PROVIEH Anfang 2009 in Brüssel gegen die routinemäßigen Gesetzesverstöße und die unzureichenden Rechtsvorschriften in Deutschland kam der Stein ins Rollen: Die EU-Kommission leitete eine offizielle Untersuchung ein, die mehrere Jahre andauerte. Die EU hat zwar bis heute keine offiziellen Vertragsverletzungsverfahren wegen der Verstöße gegen Deutschland eröffnet; aber wir hielten den nötigen Druck aufrecht mit unseren jährlich erneuerten Beschwerden über die Nichteinhaltung, wobei wir ständig neue Beweise lieferten, dass sich nichts oder nicht genug tat.
2014 kam endlich der Durchbruch: Nachdem Niedersachsen den Ausstieg aus dem Schwanzkupieren bis 2016 bereits in seinem Tierschutzplan vorgesehen hatte, unterzeichneten im Februar 2014 in Nordrhein-Westfalen (NRW) und im September 2014 in Schleswig-Holstein die Landesregierungen mit den Landesbauernverbänden Vereinbarungen zum stufenweisen Verzicht auf das routinemäßige Schwanzkupieren beim Schwein. Die schrittweise Umsetzung der in den vergangenen Jahren durch zahlreiche Studien und Versuche gewonnenen Erkenntnisse soll unter intensiver Beratung der Landwirte voraussichtlich bis spätestens 2017 vollzogen werden. Weitere wichtige wissenschaftliche Begleitprojekte, an denen PROVIEH aktiv inhaltlich mitgewirkt hat, werden von NRW und der Tierschutz-Stiftung „Tönnies-Forschung“ ab 2015 finanziert, und auch in Schleswig-Holstein wurden von der Landesregierung weitere Forschungsgelder zugesagt, um die Umsetzungsrisiken weiter zu minimieren. Denn die Tierhalter können nicht einfach dazu gezwungen werden, ihre Ställe abzureißen und artgerechte Unterbringungen neu zu bauen. Sie müssen aber versuchen, ihre bestehenden Systeme so anzupassen, dass sie die Tiere gesetzeskonform halten können. Eine erste Bestandsaufnahme der Fortschritte ist für Ende 2015 in NRW und Niedersachsen geplant.
Niedersachsen hat im Juni 2014 außerdem eine (von PROVIEH seit 2011 geforderte) Ringelschwanzprämie angekündigt, um den Landwirten die aus den Maßnahmen entstehenden Kosten (zum Beispiel für Raufutter) zu entgelten. Dies ist besonders angesichts der über weite Strecken des Jahres nicht kostendeckenden Schweinepreise und des enormen Wettbewerbsdrucks ein positiver Anreiz für den Tierschutz.
Laut Bekanntgabe eines Referenten des Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) im November 2014 auf der Nutztierethologie-Tagung in Freiburg, an der auch PROVIEH teilnahm, wurden inzwischen auch auf Bundesebene Gespräche über den Kupierverzicht mit den Schweineerzeugerverbänden geführt sowie mit den Nachbarländern Dänemark und den Niederlanden, aus denen deutsche Mäster jährlich etwa zehn Millionen Ferkel importieren. Der von PROVIEH seit Februar 2014 erwartete Dominoeffekt der NRW-Erklärung zeichnet sich damit ab.
PROVIEH freut sich darüber, dass unsere unermüdliche Kampagnenarbeit – politischer Druck gepaart mit solider lösungsorientierter Zusammenarbeit mit Landwirtschaft, Beratung und Privatwirtschaft – jetzt diese Früchte trägt. Auch wenn kritische Stimmen anmerken, dies sei doch eigentlich kein Grund zum Feiern, weil das routinemäßige Schwanzkupieren ohnehin seit Jahren verboten ist, sehen wir die Fortschritte als Meilenstein auf dem Weg zum Tierwohl im Schweinestall. Denn die Realität deckte sich jahrzehntelang nicht mit den gesetzlichen Vorschriften und ein Verzicht auf das Kupieren bei den heutigen Hochleistungsschweinen ohne geeignete Begleitmaßnahmen wäre ein großes Tierschutzproblem.
Auch die unter Mitarbeit von PROVIEH von der EU-Kommission erstellten Leitlinien für die Bereitstellung von angemessenem Beschäftigungsmaterial und die notwendigen Maßnahmen zum Kupierverzicht, deren Veröffentlichung sich aufgrund der EU-Wahlen im Mai 2014 und des erforderlichen Kommissionswechsels im November verzögert hat, wird voraussichtlich 2015 einen weiteren entscheidenden Beitrag zum baldigen europaweiten Ausstieg aus dem Schwanzkupieren leisten.
PROVIEH schaut deshalb zuversichtlich ins Neue Jahr und hofft, Ihnen bald weitere positive Ergebnisse unserer Ringelschwanzkampagne berichten zu können.
Sabine Ohm
Quellen und weiterführende Informationen: