Unsere bisherigen Erfolge:

Was wir für einen intakten Ringelschwanz bisher erreicht haben 

PROVIEH setzt sich seit über 15 Jahren in unermüdlicher Fach- und Kampagnenarbeit für den Verzicht das Schwanzkupieren bei Schweinen ein. 

Dank intensiver Arbeit konnten wir die Politik, Verbände, Tierhaltung, Forschung und auch die breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass der Ringelschwanz für das Wohlbefinden des Schweins unerlässlich und das Abtrennen des Schwanzes keine Lösung ist. Deshalb begrüßt PROVIEH, dass der Entwurf für das neue Tierschutzgesetz verschärfte Regelungen für das Schwanzkupieren vorsieht. Allerdings gibt es erheblichen Nachbesserungsbedarf, damit der Ausstieg tatsächlich gelingt.

Das routinemäßige Schwanzkupieren wenige Tage nach der Geburt ist eine schmerzhafte Verstümmelung, die Infektionsrisiken birgt und den Tieren ein zentrales Kommunikationsmittel raubt. Anders als bei Hunden signalisiert Schwanzwedeln zum Beispiel Nervosität oder Gereiztheit. Ein herabhängender Schwanz weist auf mögliches Unwohlsein, Bedrückung oder auch Krankheit hin, während ein eingeklemmter Schwanz Angst oder Anspannung bedeutet. Geringelt und intakt, also unverletzt und ohne Nekrosen, ist der Schwanz zudem für Tierhalter ein gut erkennbares Zeichen, dass das Schwein zufrieden und gesund ist. 

Wo kein Kläger…

Das routinemäßige, vorbeugende Schwanzkupieren bei Ferkeln ist seit 1994 in Europa verboten. Dies war zunächst in der Richtlinie 91/630/EWG geregelt, die inzwischen von der Richtlinie 120/2008/EG abgelöst wurde. Das Amputationsverbot wurde und wird seitdem von den meisten EU-Ländern ignoriert, auch von Deutschland. Die Schweine wurden bis zu PROVIEHs Kampagnenstart „Mein Ringelschwanz bleibt ganz“ im Jahr 2009 stumpf auf nicht artgerechte Haltungsbedingungen zurechtgestutzt. Dabei hat niemand hinterfragt, woran es liegt, dass die Schwänze sonst durch Nekrosen abfaulen oder die Tiere sich durch Schwanzbeißen kannibalisieren.

Im Richtlinientext werden die wichtigsten Einflussfaktoren auf das Schwanzbeißen identifiziert. Es ist vorgeschrieben, dass mehr Platz und natürliches Beschäftigungsmaterial bereitgestellt wird sowie „unzureichende Haltungsbedingungen“ abgestellt werden müssen. Erst dann darf im Einzelfall kupiert werden. Nichts davon wurde in der Praxis umgesetzt. In den kargen Betonvollspaltenbuchten hingen weiterhin nackte Eisenketten zur „Beschäftigung“, Raufutter jeglicher Art fehlte und mehr Platz wurde auch nicht gewährt. Die Bundesregierung und die Kontrollbehörden schauten weg. 

PROVIEH brachte die Wende

Dies änderte sich 2009 dank einer Beschwerde von PROVIEH bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Dadurch kam es zum ersten und bisher einzigen Mal zu einem „Pilotverfahren“ gegen ein EU-Mitgliedsland wegen des Verstoßes gegen das Verbot des routinemäßigen Schwanzkupierens. Die Bundesländer mit den meisten Schweinen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wurden im Zuge des zweijährigen Verfahrens beinahe zu Zahlungen von je 300 Millionen Euro verurteilt. Doch die EU-Kommission ruderte zurück, weil „zu viele Länder das EU-Recht brachen und es ein transnationales Problem“ sei, da sehr viele Betriebe in Deutschland bereits kupierte Ferkel aus Dänemark und den Niederlanden importierten. 

In der Folge führte die EU zahlreiche Kotrollen in den größten Erzeugerländern durch und unterstützte wichtige Forschungsprojekte, um den Ursachen des Schwanzbeißens und dem fortgesetzten Gesetzesverstoß auf den Grund zu gehen. Auch die EU-Lebensmittelaufsichtsbehörde (EFSA) hat in ihren Stellungnahmen, zuletzt 2022, immer wieder betont, dass der intakte, geringelte Schwanz das beste Zeichen für Tiergesundheit und Tierwohl bei Schweinen ist und den Weg zu intakten Ringelschwänzen gewiesen. 

Ursachen geklärt

Unsere Kampagne sorgte auch in Deutschland für eine Lawine von Forschung und Praxisversuchen. Komplexe Wirkungsketten zwischen verschiedenen Stressfaktoren, Fütterungs- und Tränkefehlern. Schwanznekrosen und Schwanzbeißen konnten seither entschlüsselt werden. Auch genetische Faktoren wurden identifiziert. 

Die Stressfaktoren für Schweine sind zwar in jedem Betrieb individuell zu analysieren und abzustellen, aber heute ist klar, wie man reagieren muss, wenn es Anzeichen für Probleme gibt: Vorbeugend eingreifen bei Unruhe im Stall und für Ablenkung sorgen. Die Unruhestifter beziehungsweise potenziellen Beißer müssen zügig identifiziert und zeitweise von der Gruppe getrennt werden. Zusätzliches, andersartiges Beschäftigungsmaterial – am besten neues Raufutter – hilft. Gegebenenfalls müssen weitere Stressquellen erkannt und abgestellt werden, zum Beispiel Zugluft, schlechte Luft im Stall oder zu hohe Temperaturen. Wettbewerb um knappe Ressourcen ist ebenfalls zu vermeiden.

Zur Vermeidung von Stress durch Kämpfe im Stall müssen auch strukturelle Probleme angegangen werden, zum Beispiel durch artgerechte Fütterung mindestens teilweise am Boden, so dass alle Tiere gleichzeitig wühlen und fressen können, statt nur Automaten mit einem Tier: Fressplatzverhältnis von teilweise 12:1. Auch braucht es artgerechte Tränken und Platz für „strukturierte Buchten“, also ausreichend große und getrennte Bereiche zum Ruhen, Spielen, Fressen und Koten.

Fest steht: Die Tiere müssen mehr beobachtet sowie insgesamt artgerechter gehalten und gefüttert werden, um ihre tägliche Stressbelastung zu minimieren. Nur so kann man vermeiden, dass sie sich bei jedem „Störfall“ gegenseitig kannibalisieren.  

Geld regiert die Welt

Durch die beschriebenen Maßnahmen entstehen Kosten, teils Investitionskosten durch Umbau, teils laufend höhere Kosten, unter anderem durch weniger Tiere im Stall sowie die Gabe von Raufutter und anderen Beschäftigungsmaterialien. Schweinefleisch ist allerdings nach wie vor sehr billig, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern, in denen oft noch weniger auf Tier-, Umwelt und Arbeitsschutz geachtet wird. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) übt regelmäßig Druck auf die Lieferanten aus, zum Beispiel durch den Einkauf von importiertem Billigfleisch. Das steht nicht nur den Verbraucherwünschen nach besserem Tierschutz entgegen, sondern unterläuft auch die Bemühungen, höhere nationale Tierwohlstandards umzusetzen. Dieses verantwortungslose Verhalten ist PROVIEH schon lange ein Dorn im Auge.

Versuch einer Branchenlösung

PROVIEH ergriff deshalb 2012 die Initiative und wies der Branche den Weg: Gemeinsam mit Praktikern entlang der Erzeugungs- und Vermarktungskette bis hin zum LEH tüftelten wir ein privatwirtschaftliches System aus, mit dessen Hilfe Tierwohlmaßnahmen in Haltung und Management honoriert werden können.

Unser Kriterienkatalog fußte auf der Frage: „Was braucht das Schwein?“. Er sollte den Tierhaltern langfristig die laufenden Mehrkosten für wichtige Tierwohlmaßnahmen ersetzen, darunter Auslauf, mehr Platz, Raufutter und freie Abferkelung. 

Das System stellten wir dem Prüf- und Kontrollunternehmen QS vor, in dem weit über 90 Prozent der deutschen Schweinehalter organisiert sind. QS nahm uns das Heft aus der Hand, strich den Kriterienkatalog drastisch zusammen und machte ab Januar 2015 daraus die sogenannte Initiative Tierwohl (ITW). Sie entspricht heute bei der Lebensmittelkennzeichnung der Haltungsform 2 und bleibt weit hinter unseren Erwartungen und ihrem Potential zurück.

Freiwillige Initiative unzureichend

Mit dem zusammengestrichenen Kriterienkatalog der ITW und den zu kleinschrittigen, viel zu geringen Anreizen ist – anders als von PROVIEH ursprünglich geplant – kein ganzer Ringelschwanz und schon gar keine artgerechte Tierhaltung zu machen. Die damals ebenfalls von uns erdachte „Ringelschwanzprämie“ wurde auf staatlicher Ebene nur vom Land Niedersachsen eingeführt und soll 2026 auslaufen. 

„Nationaler Aktionsplan Kupierverzicht“: eine Nullnummer

Insgesamt passierte zu wenig bei der Umsetzung des Kupierverzichts in der Praxis. Es gab Fortschritte beim Erkenntnisgewinn und der Schaffung von zumindest rudimentären Förderstrukturen. Der vermehrte Druck durch unsere Kampagne – und in der Folge seitens der EU – bewirkte unter der Vorgängerregierung zunächst nur die Schaffung eines deutschen Papiertigers namens „Nationaler Aktionsplan Kupierverzicht“ im Juli 2019. 

Er beinhaltete zwar vernünftige Ansätze für die notwendigen betriebsindividuellen Risikoanalysen und Maßnahmenpläne zur Vermeidung von Schwanzbeißen. Wie so oft mangelte es allerdings an geeigneten Kontrollen und Sanktionen durch die zuständigen Behörden und deshalb an der Umsetzung. Der Plan war weder “national”, also bundesweit einheitlich, noch traten die zuständigen Behörden in Aktion, als die Tierhalter einfach weiter machten wie bisher. Der Name mutierte zur Farce. 

Neuer Meilenstein in Sicht 

Im Mai 2024 kam endlich eine Gesetzesinitiative vom Bundeslandwirtschaftsministerium zur Änderung des Tierschutzgesetzes, mit der unter anderem die Vorschriften für das Schwanzkupieren verschärft werden sollen – zwar spät, aber noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr.

PROVIEH hat lange für einen gesetzlichen Meilenstein auf dem Weg zu intakten Ringelschwänzen gekämpft. Der Entwurf zur Gesetzesnovelle enthält einige detaillierte Verpflichtungen zur Durchführung und Dokumentation von Risikoanalysen und Maßnahmenplänen. Eine verpflichtende Reduktionsstrategie zum stufenweisen Ausstieg aus dem routinemäßigen Kupieren und die unerlässliche Schmerzausschaltung bis zur vollständigen Beendigung des Schwanzkupierens sind im Entwurf allerdings nicht.

Unser Ziel, dass bald nur noch Schweine mit intakten Ringelschwänzen in Deutschland gehalten werden, rückt dank des neuen Gesetzesentwurfs trotzdem ein gutes Stück näher – am besten natürlich mit den Änderungsvorschlägen von PROVIEH. 

Deshalb legen wir jetzt nach mit unserer Ringelschwanzkampagne 2.0: „Stoppt das Schwanzkupieren!“

Sabine Ohm