Warum werden Ringelschwänze kupiert?
Begründet wird das Schwanzkupieren damit, dass sich die Schweine im Laufe ihrer Aufzucht gegenseitig in die Ringelschwänze beißen könnten. Moment mal… warum beißen sich Schweine gegenseitig in die Schwänzchen?
Dieses abnormale Verhalten entwickeln Schweine meist, weil die Kombination aus Hochleistungsgenetik und unzureichenden Fütterungs-, Tränke- und Haltungsbedingungen ein sehr hohes Stresslevel hervorruft. Ein Blick auf die Ursachen des Schwanzbeißens offenbart, warum der verstümmelte Ringelschwanz der Indikator für schlechtes Tierwohl ist:
1. Schweine sind ausgesprochen intelligente, neugierige und sensible Tiere mit einem guten Geruchssinn, die sehr reinlich sind, sich gerne viel bewegen und ihre Umgebung erkunden. Die meisten der in Deutschland gehaltenen Schweine leben jedoch eingeengt in eintönigen Betonbuchten über ihren eigenen Exkrementen, deren Schadgase durch die Spalten im Boden die Stallluft verpesten. Jedem Schwein mit 50 bis 110 Kilogramm Lebendgewicht stehen laut Gesetz außerdem gerade einmal 0,75 Quadratmeter zur Verfügung. Zum Ende der Mast ist der Platz pro Tier so knapp, dass sie sogar in den Koteckenliegen müssen. Außerdem sind die nackten, einstreulosen Buchten viel zu reizarm und langweilig für die schlauen Tiere. Auch Zugluft oder zu hohe Temperaturen können die Schweine stark belasten., So ein Leben, nahezu ohne positive Reize und ohne, dass sie ihre natürlichen Instinkte wie Wühlen und Erforschen befriedigen können, ist für Schweine ein Graus.
2. Schweine tun am liebsten immer alles gleichzeitig, egal ob Fressen, Spielen oder Ruhen. Laut der neugefassten Tierschutznutztierhaltungsvorordnung von 2021 müssen zwar „alle Tiere ständigen Zugang zu organischem, faserreichen Beschäftigungsmaterial haben“, aber eine etwa 30 cm breite Raufe mit Raufutter würde laut Vorschrift für 12 Tiere reichen. In der Praxis führt so ein geringes Angebot aber zu Rangeleien und Frustration bei den in der Hierarchie rangniederen Tieren, die nicht an die Raufe herangelassen werden. Die besten Ergebnisse mit intakten Ringelschwänzen erzielen diejenigen, die am Langtrog füttern und/oder neben dem Kraftfutter zusätzlich – am besten bodennah – verschiedene Raufutterarten wie gerollte Gerste, gequetschte Erbsen, Heu, Silage oder ähnliches füttern.
Die große Mehrheit der Schweine in Deutschland wird immer noch auf Vollspalten gehalten. Dort können die Tiere ihre arteigenen Bedürfnisse nicht ausleben: Sie können zum Beispiel nicht bodennah nach Futter suchen, geschweige denn gleichzeitig und vom Boden fressen; denn sie stehen tagein tagaus auf harten Spaltenboden und werden über Automaten gefüttert, an denen immer nur wenige Tiere gleichzeitig fressen können. Auch müssen sie aus kleinen Metallnippeln saufen, statt natürlich aus der offenen Fläche. Das alles ist der so wichtigen Verdauungsgesundheit abträglich, wodurch Entzündungen und in der Folge aufgrund von Durchblutungsstörungen auch Nekrosen entstehen können, unter anderem am Ringelschwanz.
3. Die Weichen für intakte Ringelschwänze müssen schon bei der Sau richtiggestellt werden: Ein stressarmes Leben mit guter Verdauungsgesundheit – unter anderem durch die Gabe von Raufutter, Nestbaumaterial vor der Geburt und die Möglichkeit zur Bemutterung ihrer Saugferkel ist die Grundlage für ihre Gesundheit und damit einen guten Start ins Leben für die Saugferkel. Die häufig zu kurzen Säugezeiten, die abrupte Umstellung von Muttermilch aus der Zitze auf unphysiologische Nippeltränken und die raufutterarme Fütterung führen oft bereits in der Ferkelaufzucht zu Problemen mit Schwanznekrosen und/oder Schwanzbeißen. Qualitätsmängel beim Tränkwasser durch Biofilme in den Leitungen mit entsprechender Keimbelastung des Wassers sowie schlechte Geschmacksqualität durch beispielsweise zu hohen Eisengehalt im Brunnenwasser sind weitere häufige Grundprobleme auf den Betrieben. Auch beim Futter gibt es Mängel: nicht nur durch das erwähnte fehlende Angebot von Raufutter, sondern auch durch sogenannte Mykotoxine (Schimmelpilzgifte). All dies kann zu Gesundheitsproblemen und Nekrosen führen, besonders am Ringelschwanz. Durch das Absterben des Gewebes, die sogenannte Nekrose, juckt ihnen ihr Schwänzchen und ein erstes Beißen ihrer Artgenossen sorgt im ersten Moment für Abhilfe.
Fazit: Mangelnde Tiergesundheit, Stress, Frust, Leid und Langeweile führen oft zu Schwanzbeißen.
“Was nicht passt, wird passend gemacht – Schluss damit!”, kommentiert Sabine Ohm, Fachreferentin für Schweine bei PROVIEH die Anpassung der Tiere an schlechte Fütterungs-, Tränke- und Haltungsbedingungen. “Das Schwanzkupieren soll spätere Verletzungen durch Schwanzbeißen verhindern. Die Ursachen für das Schwanzbeißen sind unterschiedlich: Teils sind es Verhaltensstörungen aufgrund nicht artgerechter Haltung und/oder erhöhter Stressanfälligkeit durch Hochleistungszucht, teils wird es krankheitsbedingt ausgelöst, auch durch Nekrosen. Die Teilamputation der Ringelschwänze dient zur Anpassung der Tiere an nicht angemessenen Haltungs- und Managementbedingungen und kann durch entsprechende Verbesserungen – manchmal auch mit dem Wechsel auf eine andere Genetik – vermieden werden. Der Eingriff verursacht vermeidbare Schmerzen und Leiden und ist damit tierschutzwidrig.”