Das Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene

Die europäische Union ist eine sehr dynamische Gemeinschaft mit einer Vielzahl an heterogenen Einzelinteressen. Um dem komplexen Regierungsgebilde der EU als Regierungssystem sui generis (eigener Art) gerecht zu werden, ist auch der Gesetzgebungsprozess der EU geprägt von einem Wechselspiel diverser Institutionen.  

Damit ein Gesetzgebungsverfahren überhaupt in die Wege geleitet werden kann, muss zuerst eine Gesetzesinitiative gestartet werden. In der EU verfügt nur das Exekutivorgan, die europäische Kommission, über das Recht ein Gesetzgebungsverfahren zu initiieren. Allerdings haben die Legislativ-Organe, in diesem Fall der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament, die Möglichkeit, die Kommission zur Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen aufzufordern. 

Das Europäische Gesetzgebungsverfahren kennt zum einen das primäre Gemeinschaftsrecht, zum anderen das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Ersteres umschreibt die grundlegenden Festsetzungen der Gründungsverträge, während das sekundäre Gemeinschaftsrecht Verordnungen und Richtlinien umfasst. 

Verordnungen umschreiben diejenigen Rechtsakte, die unmittelbare Gültigkeit in den Mitgliedsstaaten haben. Richtlinien hingegen haben einen weniger stark bindenden Charakter; ihre Umsetzung wird den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen. 

Was macht PROVIEH?

Die europäische Ebene ist sicherlich die wichtigste Ebene für den Bereich Landwirtschaft. Gleichzeitig ist es die, die am schwersten zu erreichen ist. Brüssel ist weit weg, und viele, zum Teil sehr starke Organisationen fordern ihr Recht ein, gehört zu werden. Trotzdem begibt sich PROVIEH auch immer wieder in diesen Bereich. Der Kontakt zu den für Landwirtschaft zuständigen Abgeordneten ist dabei besonders wichtig.

Auf europäischer Ebene gibt es außerdem einige aussichtsreiche Bürgerinitiativen, die von PROVIEH unterstützt werden. Die Bürgerinitiative “End the cage age” war dabei ein besonders großer Erfolg. Zusammen mit vielen Bündnispartnern konnten insgesamt 1,5 Millionen Unterschriften für das Ende der Käfighaltung gesammelt werden, europaweit! Im Juni 2021 forderte das Europäische Parlament daraufhin die Europäische Kommission auf, die Verwendung von Käfigen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung bis 2027 zu verbieten.

Regelmäßig zur Europawahl nimmt PROVIEH die Wahlprogramme der Parteien unter die Lupe: Wer bietet wie viel für den Tierschutz? In manchen Wahlprogrammen hat der Tierschutz einen sehr hohen Stellenwert, bei anderen dagegen wird er nur am Rande erwähnt.  

Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren 

Der Regelfall des Gesetzgebungsprozesses in der EU umschreibt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren. Bei diesem Prozess erarbeiten die Mitarbeiter der europäischen Kommission (entweder im direkten Auftrag der Kommission oder auf Aufforderung des Rates der europäischen Union oder des Europäischen Parlaments) einen Gesetzentwurf. 

An dieser Stelle ist viel Geschick gefragt, da der zu erarbeitende Vorschlag sowohl im Europäischen Parlament als auch im Rat der Europäischen Union konsensfähig zu sein muss. Ansonsten hat er kaum eine Chance den langwierigen Gesetzgebungsprozess erfolgreich zu durchlaufen.  

Erste Lesung 

Anschließend wird der Entwurf an das Europäische Parlament weitergeleitet. Dort wird über den Gesetzesvorschlag beraten und eine Stellungnahme abgefasst. Das Parlament hat hierbei zwei Optionen: Die Parlamentarier können den Entwurf billigen oder Änderungsvorschläge am Entwurf anbringen.  

In einem nächsten Schritt geht der Entwurf nun an den Rat der europäischen Union (auch Ministerrat genannt). Entweder der Rat schließt sich der Zustimmung beziehungsweise den Änderungsvorschlägen des europäischen Parlaments an und der Rechtsakt gilt als abgeschlossen. Oder die Vertreter des Rates der europäischen Union legen eine Begründung ihres abweichenden Standpunktes dar. 

Wenn der Ministerrat einen vom Parlament abweisenden Standpunkt vertritt, wird dieser ausformuliert und der angepasste Gesetzesentwurf anschließend wieder an das europäische Parlament geleitet. 

Zweite Lesung 

Das Parlament hat an dieser Stelle drei Optionen: Die Parlamenarier können sich in einer Parlamentsabstimmung für den Änderungsvorschlag des Rates aussprechen. In diesem Fall wird der Vorschlag Gesetz. 

Umgekehrt können sie ebenfalls in einer Abstimmung gegen den neuen Entwurf stimmen und den Gesetzesentwurf damit zum Scheitern bringen. 

Als dritte Option kann das Parlament mit absoluter Mehrheit weitere Änderungen am Gesetzesentwurf ins Spiel bringen.  

Tritt letztes ein, geht der abermals überarbeitete Entwurf erneut an die Europäische Kommission, welche zu dem Entwurf Stellung bezieht. Fällt diese Stellungnahme positiv aus, wird das Gesetz erlassen. 

Spricht sich die Kommission allerdings gegen den überarbeiteten Entwurf aus, dann sieht der Gesetzgebungsprozess vor, dass der Rat der europäischen Union mittels Abstimmung Position zu dem Entwurf bezieht.  

Sollte sich der Ministerrat in einer solchen Abstimmung einstimmig für die Umsetzung des Parlamentsvorschlags aussprechen, dann kann der Entwurf in geltendes Recht umgesetzt werden. 

Kann eine einstimmige Zustimmung nicht erreicht werden, dann kann der Vermittlungsausschuss einberufen werden. Dieser setzt sich aus Vertretern des Europäischen Parlaments, des Rates der Europäischen Union und der Kommission zusammen. Man spricht deshalb auch von einem (formellen) Trilog.  

Dritte Lesung 

Kann auch während der Verhandlungen zwischen den Vertretern des Trilogs kein Kompromiss gefunden werden, ist das Gesetz an dieser Stelle endgültig gescheitert. Kann im Vermittlungsausschuss allerdings ein als konsensfähig erachteter Kompromiss gefasst werden, dann wird der Vorschlag in der dritten Lesung an das Parlament und den Rat zur Abstimmung weitergeleitet. 

Exkurs: Informeller Trilog 

Der Gesetzgebungsprozess der EU sieht sich immer wieder Kritik ausgesetzt, da der komplexe Prozess von vielen als schwerfällig und unflexibel wahrgenommen wird. Um dem entgegen zu wirken, wurde mit dem Vertrag von Amsterdam (1999) die Möglichkeit des informelles Trilogs als politisches Werkzeug für mehr Flexibilität im Gesetzgebungsprozess eingeführt.  

Im Gegensatz zum formellen Trilog, der erst verhältnismäßig spät im Gesetzgebungsprozess zum Einsatz kommt (zwischen der 2. und der 3. Lesung), kann der informelle Trilog noch vor der ersten Lesung einberufen werden.  

Wie auch der formelle Trilog, setzt sich auch der informelle Trilog aus Vertretern der drei relevanten EU-Organe zum Gesetzgebungsprozess zusammen. Allerdings handelt es sich um eine wesentlich kleinere Gruppe. 

Seit seiner Einführung 1999 hat der informelle Trilog kontinuierlich an Bedeutung gewonnen und kann/muss inzwischen als das/ein Standardverfahren europäischer Gesetzgebung angesehen werden. 

Trotz seiner entsprechend erheblichen Relevanz ist der informelle Trilog bislang nicht primärrechtlich festgelegt, also nicht in den offiziellen EU-Verträgen geregelt.  

Nachdem die Kommission ihr Initiativrecht wahrgenommen und einen Gesetzesentwurf verfasst hat, kann der informelle Trilog eingeleitet werden. In den meisten Fällen kommt dieses Verfahren noch vor der ersten Lesung im Europäischen Parlament zum Einsatz; seltener vor der 2. Lesung.  

Für das Europäische Parlament nimmt neben dem/der Vorsitzenden des federführenden Ausschusses auch ein/eine offizieller Berichterstatter:in sowie die sogenannten Schattenberichterstatter:innen der Parlaments-Fraktionen am Trilog teil. Der Rat der Europäischen Union wird von einem/ einer Vertreter:in des Landes mit der derzeitigen Ratspräsidentschaft vertreten. Hinzu kommt der/die Vorsitzende des Ausschusses der ständigen Vertreter und ein Repräsentant der zuständigen Ratsarbeitsgruppe. Die Kommission wiederum schickt den/die zuständigen Referatsleiter:in oder Direktor:in. Unter Umständen nimmt auch der EU-Kommissar/die EU-Kommissarin am Trilog teil.  

Arbeitsgrundlage des Trilogs sind neben des im Vorfeld erarbeiteten Entwurfs der Kommission auch die zuvor abgefassten Positionen von Parlament und Ministerrat. Im Anschluss an die Verhandlungen berichten die Delegationen den entsprechenden EU-Organen über den Ausgang. Häufig kann auf diesem Wege eine Einigung bereits vor der ersten Lesung erzielt werden.  

Die gesteigerte Effizienz des informellen Trilogs hat allerdings seinen Preis. Diese Form des Gesetzgebungsprozesses ist deutlich intransparenter als beispielsweise das ordentliche Gesetzgebungsverfahren. So sind die Verhandlungen weder öffentlich, noch wird ein Protokoll über den Inhalt der Verhandlungen abgefasst. Durch die fehlende Öffentlichkeit ist es unter anderem auch für Umweltverbände schwierig ihre Positionen und Vorschläge effektiv in den Gesetzgebungsprozess einfließen zu lassen.  

Es wäre also sowohl im Interesse der EU, als auch der Zivilgesellschaft an sich, dass durchaus effektive Modell des informellen Trilogs im Primärrecht zu verankern. Dies würde die Möglichkeit schaffen einen Diskurs über die Arbeitsweise des informellen Trilogs zu führen. Zudem könnten auf diesem Wege berechtigte Sorgen um die Transparenz des Verfahrens angesprochen und angegangen werden.