Bilanz und Ausblick auf die EU-Wahl 2024

EU-Tierschutzpolitik

Für PROVIEH und die Wissenschaft ist unstrittig: Es braucht dringend und zwingend deutlich strengere sowie europaweit einheitliche Tierschutzbestimmungen. Vom Tierschutzgesetz, über Haltungsvorgaben für einzelne Tierarten bis hin zu Transport- und Schlachtbestimmungen: Unsägliches Leid bei Millionen „Nutztieren“ in der EU kann nur mit deutlich verbesserten Bestimmungen verhindert werden.

EU-weite Forderung für mehr Tierwohl

Entgegen der geläufigen Behauptung, Tierwohl sei lediglich in Deutschland ein gefordertes Thema, sprechen sich sehr wohl EU-weit Bürgerinnen und Bürger für verbesserte Standards aus: 84 Prozent forderten jüngst in der Eurobarometer-Befragung, das Wohlergehen landwirtschaftlich genutzter Tiere besser zu schützen. Für den Ausstieg aus der Käfighaltung bei landwirtschaftlich genutzten Tieren und der Pelzproduktion kämpfen etwa 1,5 Millionen Menschen im Rahmen von Europäischen Bürgerinitiativen. Die von PROVIEH mitinitiierte Kampagne „End the Cage Age“ wurde von 170 europäischen Tierschutzorganisationen getragen.

Tierschutz-Revolution in greifbarer Nähe

2021 gab die EU-Kommission Aussicht auf den historischen Durchbruch beim Tierschutz. Infolge von „End the Cage Age“ plante sie ein Gesetz zum Ausstieg aus der Käfighaltung bei Sauen, Kälbern, Kaninchen und Geflügel. Auch ein Gesetzentwurf zum Ausstieg aus der grauenvollen Pelzproduktion wurde angekündigt. Etwa zeitgleich erklärte die Kommission im Rahmen des Green Deal und der sogenannten Farm-To-Fork-Strategie, die Tierschutzbestimmungen sogar insgesamt deutlich verbessern zu wollen. Hierfür sollten die Gesetze sowohl bei Haltung sowie Transport und Schlachtung als auch in Bezug auf die Kennzeichnung von Lebensmitteln novelliert werden. Bis Ende 2023 sollten die Gesetzentwürfe unterbreitet werden. Mit diesen Ankündigungen erschien der Durchbruch beim Tierschutz endlich in greifbarer Nähe – nach fünfzig Jahren unermüdlichen Einforderns vonseiten PROVIEH.

Ohrenbetäubendes Schweigen: EU-Kommission bricht Versprechen

Die Kommission hüllte sich 2023 wiederum in ohrenbetäubendes Schweigen. Im EU-Parlament musste die Kommission schließlich im Oktober Stellung beziehen. Entgegen ihrem Versprechen sollen nun von den vier Gesetzespaketen nur die Transportvorschriften angegangen werden (siehe Seite 15 in diesem Heft). Die Bestimmungen in Bezug auf Haltung, Schlachtung und Kennzeichnung fallen bis auf weiteres komplett hinten runter. Es kam sogar noch schlimmer. Auch den Europäischen Bürgerinitiativen erteilte die Kommission eine Absage: Weder der Ausstieg aus der Käfighaltung noch aus der Pelzproduktion seien geplant.

PROVIEH fassungslos: EU-Kommission Untersuchungen zufolge lobbyhörig

Der drastische Kurswechsel der Kommission ist laut Untersuchungen der britischen Zeitung „The Guardian“ und zahlreichen Interviews zufolge auf ein aggressives Handeln der Agrarlobby zurückzuführen. Anja Hazekamp, stellvertretende Vorsitzende des Umweltausschusses im Europäischen Parlament, sagte der Zeitung: „Die Industrie hat in dieser Angelegenheit wirklich hart und schmutzig gekämpft. Sie versuchten alles, was ihnen einfiel“. Ein Insider sagte, dass Lobbyisten in strategischen Momenten des Gesetzgebungsprozesses „über privilegierte Kanäle gezielt hochrangige Kommissionsebenen ins Visier genommen“ hätten. Danach sei die Haltung gegenüber der Gesetzgebung auf höchster Ebene „extrem negativ“ geworden, fügte der Beamte hinzu. PROVIEH ist schockiert über diese Enthüllungen und fordert von der Kommission, ihre Versprechen einzuhalten.

Fazit: Green-Deal und Bürgerinitiativen unverhandelbar

PROVIEH ist überzeugt: Die EU ist auf dem Irrweg. Angeführte Gründe wie vermeintlich fehlende Gutachten und das Ziel einer Eindämmung von Kostensteigerungen bei Lebensmitteln sind an den Haaren herbeigezogen. Gutachten über die notwendigen Verbesserungen liegen seit Jahren vor. Für eine kostenschonende und gesunde, umweltverträgliche und tierschutzkonforme Ernährung müssen weniger Tiere besser gehalten werden. Letztlich müssen der Green Deal und der Bürgerwille umgesetzt werden. Tiere müssen EU-weit tierschutzkonform gehalten werden, wofür es nötig ist, die Tierschutzbestimmungen drastisch zu verbessern.

Logo end the cage age

Die Bürgerinitiative „End the Cage Age“ (Beendet das Zeitalter der Käfighaltung) forderte mit etwa 1,5 Millionen Unterschriften den Ausstieg aus der Käfighaltung und der Pelzproduktion. EU-weit sprechen sich Bürgerinnen und Bürger seit vielen Jahren in allen Umfragen immer wieder für mehr Tierschutz aus.

PROVIEHs Forderungen für die kommende EU-Wahlperiode

• Auskömmliche Förderung von Tierwohl sowie anderen öffentlichen Gütern durch die Gemeinsame Agrarpolitik und umfassende Förderfähigkeit aller beweideten Flächen. 

• Einführung von Haltungsvorgaben für alle Tierarten: Milchkühe und Mastrinder, Puten, Ziegen und Schafe sowie Enten und Gänse

• Die Beendigung von Anbindehaltung und Haltung auf Vollspaltenböden

• Die Beendigung von Käfighaltungen bei Sauen, Kälbern, Kaninchen, Geflügel und Pelztieren

• Die Beendigung von Qualzucht durch eindeutige Qualzuchtmerkmale

• Das Ersetzen von Lebendtiertransporten durch den Transport von Zuchtmaterial und Fleisch

• Verkürzung von Tiertransporten innerhalb der Europäischen Union auf 8 Stunden bei freilaufenden Tieren und 4 Stunden bei Tieren in Containern. 

• Die Beendigung von Lebendtierexporten in Hochrisikoländer

• Strengere Vorgaben für den Brandschutz

• Die Einführung einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung zur Förderung von Tierwohl und Transparenz im Einkauf

• Verbesserung der Kontrollen von tierhaltenden Betrieben und Schlachtstätten durch grundsätzlich unangekündigte Kontrollen in vorgegebenen Zeitabständen sowie strengere Kontrollen bei Tiertransporten. 

• Die Erweiterung der Schlachtverordnung um geschlossene Videoüberwachung in allen Schlachthöfen und das Verbot der CO2-Betäubung für Schweine

• Strengere Überwachung und Senkung des Medikamenteneinsatzes in der Tierhaltung, insbesondere von Antibiotika

• Eine umfassende Informationskampagne zur Begleitung des Umbaus der Nutztierhaltung in Europa

• Keine Freihandelsabkommen mit Zugeständnissen für Importe von Gütern tierischen Ursprungs, die unter schlechteren Tierschutzstandards als in Europa erzeugt wurden. 

• Außenschutz für landwirtschaftliche Erzeugnisse durch eine Grenzausgleichsabgabe auf Importe, die kostengünstig unter niedrigeren Tier- oder Umweltschutzstandards als in Europa erzeugt wurden. 

Anne Hamester

Dieser Artikel ist erschienen im PROVIEH-Magazin „respektiere leben.“, Ausgabe 01-2024

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