Tierschutz in Deutschland – Quo Vadis?  

Förderung vs. Blockaden im Umbau der Tierhaltung 

Für den Schutz und das Wohlergehen der landwirtschaftlich genutzten Tiere, aber auch für den Umwelt- und Klimaschutz und für eine gesunde Ernährung müssen weniger Tiere besser gehalten werden und genauso weniger tierische Produkte gegessen werden. Für den notwendigen strukturierten Umbau und Abbau landwirtschaftlicher Tierhaltung, sind die Gesellschaft, die Branche rund um die Tierhaltung und die Politik gefragt. 

Umbau der Tierhaltung – Wohin eigentlich? 

PROVIEH auf einer Demonstration

Unter dem Umbau der Tierhaltung ist die Transformation hin zu einer auf den Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere ausgerichteten Form der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu verstehen. Der Umbau sollte eine an die artgemäßen Bedürfnisse und Verhaltensweisen ausgerichtete Haltung und Fütterung hervorbringen und mit einer schützenden Zucht und einem gesundheitsfördernden und krankheitsausschließenden Umgang einhergehen. Transporte sollten durch regionale und betriebsnah geschlossene Kreisläufe eines Tierlebens möglichst ausgeschlossen werden. Haltung, Transport und Umgang, genauso wie der Schlachtprozess, sollten auf das Tier und möglichst stressarm ausgelegt sein sowie strengen Kontrollen unterliegen. Der geforderte Umbau der Tierhaltung beinhaltet die Transformation vom aktuellen Status Quo der Intensivtierhaltung hin zu diesem Zielbild tierschützender Tierhaltung. Für diesen Systemwechsel tritt PROVIEH seit 1973 ein – gemeinsam mit unzähligen Menschen und der deutlichen Forderung aus der Gesellschaft: Tierhaltung muss sich grundlegend verändern! 

Weichen für die Transformation  

Die Weichen für die Transformation stellen Menschen: Mit ihrer Stimme, mit ihrem Handeln, mit ihrem Einkauf, mit ihrer Wahlentscheidung und mit ihrem Beruf können alle Menschen etwas gegen die industrielle Tierhaltung tun und für den Tierschutz und die artgemäße Tierhaltung eintreten. Die Rahmenbedingungen für die Entscheidungen und das Handeln der Gesellschaft werden jedoch im besonderen Maße von der Politik und von großen Wirtschaftsakteuren getroffen.  

Marktseitig entscheiden die Produktauswahl, die Transparenz und die Kennzeichnung beim Einkauf darüber, wie schwer oder leicht es Menschen fällt, sich gegen Produkte aus Intensivtierhaltung und für Produkte aus artgemäßen Haltungsbedingungen zu entscheiden. Aktuell wollen sich zwar immer mehr Menschen für höhere Haltungsstandards und Regionalität entscheiden, bekommen aber das gewünschte Produkt in Supermärkten oder Metzgereien häufig nur in der Qualität des Mindeststandards angeboten. Aus diesem Grund können sie ihren Präferenzen allzu oft nicht nachgehen. Schrittweise ändert sich glücklicherweise die Situation: Supermärkte, Metzgereien und die Außer-Haus-Verpflegung setzen immer mehr auf höhere Standards. Die Supermarktkette ALDI bietet beispielsweise ab 2030 Fleisch bei seinen Eigenmarken nur noch aus anspruchsvollen Außenklimahaltungen an und listet konsequent den tierquälerischen Mindeststandard aus seinem Sortiment aus. Das setzt Lidl, Edeka, Rewe & Co. natürlich unter Zugzwang und lädt die Branche zum Nachahmen ein. 

Umbau gelingt flächendeckend nur durch die Politik 

Ferkel mit Ringelschwanz
Foto: © Barbara_C-AdobeStock.com

Marktseitig können große Schritte im Umbau der Tierhaltung erreicht werden. Damit die Transformation aber wirklich alle Betriebe, alle Vermarktungswege – beispielsweise auch den Export – und damit schließlich alle Tiere erreicht, muss die Politik aktiv werden. Erst höhere gesetzliche Standards für Haltungsbedingungen und für Transport und Schlachtung schützen Tiere verlässlich. Haltungsbedingte Amputationen wie das Ringelschwanzkupieren, das Enthornen oder das Schnäbelkürzen und auch die mit Erkrankungen einhergehende Hochleistungszucht werden erst durch Verbote abgeschafft. Darüber hinaus kann nur die Politik verlässliche Rahmenbedingungen für die Transformation bieten. Und landwirtschaftliche Betriebe müssen beim Systemwechsel zwingend unterstützt werden. So werden finanzielle Förderungen für den Stallumbau und auch Prämien für deutlich erhöhte laufende Mehrkosten für den Systemwechsel benötigt. Zugleich kann die Politik durch die angedachte gesetzliche Haltungskennzeichnung marktseitig Anreize für den Umbau der Tierhaltung setzen, kann durch die Ausbildung, die staatliche Beratung sowie die Forschung und Schulbildung auf Nachhaltigkeit und Tierwohl ausrichten. Genauso müssen dringend Genehmigungspraktiken rechtlich novelliert werden und auch in politisch adressierten internationalen Handelsbeziehungen tierfreundliche Bedingungen Berücksichtigung finden. Über all diese Maßnahmen können Verbraucher: innen und landwirtschaftliche Betriebe selbst nicht entscheiden, sondern müssen zwingend durch die Politik entschieden werden. 

Bisherige Politik: Mehr Blockade als Förderung 

In den letzten Jahrzehnten wurde immerhin die Notwendigkeit zum Umbau landwirtschaftlicher Tierhaltung erkannt. Bis auf punktuelle Verbote von tierquälerischen Bedingungen wie der Käfighaltung, dem Kastenstand und dem Kükentöten wurde der grundsätzliche Umbau aber nicht angestoßen: Die Politik steht der Transformation bislang mehr im Weg als den Weg freizumachen. Immer wieder werden Mindeststandards für die Haltung, den Transport oder die Schlachtung diskutiert, aber nicht umgesetzt. Tierwohl-Prämien und ein Abbau von Tierhaltung waren unter der letzten Klöckner-Regierung im Rahmen der sogenannten Borchert-Kommission greifbar, wurden dann aber doch kurz vor der Zielgeraden zerschlagen. Landwirtschaftliche Betriebe tappen im Dunkeln, wohin die Reise geht und wie sie dies umsetzen sollen und ihnen geht bisweilen der Mut für die Transformation verloren. PROVIEH ruft dennoch dringend zum mutigen Handeln auf: Ein Momentum für den Umbau der Tierhaltung droht verpasst zu werden. 

Aktuelle Politik: Grund zur Hoffnung?  

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Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung machte 2021 Hoffnung auf einen Durchbruch: Die Novellierung des Tierschutzgesetzes, Haltungsverordnungen für alle fehlenden Nutztierarten, ein Verbot der Anbindehaltung sowie von Amputationen wie dem Ringelschwanzkupieren und auch eine nationale Tiergesundheitsdatenbank zum Tierwohl-Monitoring landwirtschaftlicher Tierhaltung sind für die aktuelle Legislatur in Aussicht gestellt worden. Und die gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung für alle tierischen Produkte und finanzielle Förderungen zur Unterstützung landwirtschaftlicher Betriebe wurden als erste Maßnahmen von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, Bündnis 90/die Grünen, angekündigt. Wenn all dies umgesetzt würde, hätte der Tierschutz in Deutschland Grund zum Feiern.  

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, die politischen Unsicherheiten und die Inflationskrise setzten den weitreichenden und kostspieligen Umbau der Tierhaltung dann zunächst auf Stand-By. Zudem verzettelt sich die Ampel-Regierung bei den bisherigen Vorhaben in Streitereien, die FDP blockiert immer wieder aussichtsreiche Initiativen und auch im grün-geführten Ministerium fehlt aus Sicht von PROVIEH ein Fünkchen Mut, um mit ambitionierten Gesetzentwürfen die Transformation bestmöglich voranzutreiben. Dennoch: Noch nie stellte eine Regierung den Umbau der Tierhaltung derart in den Mittelpunkt der Legislatur. PROVIEH hat Hoffnung, dass bis 2025 weitreichende Maßnahmen für den Umbau der Tierhaltung getroffen werden könnten. 

Politik braucht spürbaren Druck! 

Die Weichen der Transformation stellen Menschen – davon ist PROVIEH überzeugt. Die Politik – auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen – muss spüren, dass die Gesellschaft den Umbau der Tierhaltung fordert. Es braucht dafür einerseits Organisationen wie PROVIEH, die der Regierung unentwegt Druck machen, sich mit konkreten Vorschlägen und Änderungsforderungen in Gesetzgebungen einmischen und direkte Gespräche mit Entscheidungsträger:innen führen. Genauso braucht es aber auch die Menschen auf der Straße, an den Wahlurnen, in kritischen Diskussionen und am Esstisch, die für den Wandel im Sinne der landwirtschaftlich genutzten Tiere einstehen. Nur so schafft die kritische Öffentlichkeit genug Druck, um Menschen bei ALDI, in Veterinärämtern, im Bundeslandwirtschaftsministerium und im Bundestag davon zu überzeugen, sich für den schnellstmöglichen und flächendeckenden Umbau von Tierhaltung einzusetzen. Bleiben Sie also laut und beharrlich und kämpfen sie gemeinsam mit PROVIEH weiter für den Systemwechsel hin zu einer wertschätzenden und tierschützenden Form landwirtschaftlicher Tierhaltung. 

Anne Hamester 

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