Schweiz: Von leidenschaftlichen Schäfern und Wollinitiativen

Wer hier oben lebt, muss gut gerüstet sein. Selbst im Hochsommer weht beständig ein eisiger Wind von den steilen Eisklüften des Rosenlauigletschers herab.
 Die bizarre Bergwelt am Fuße der Engelhörner ist eine Kulisse von atemberaubender Schönheit. Nicht umsonst wurde dem schweizerischen Reichenbachtal von Arthur Conan Doyle durch den Tod seiner Romanfigur Sherlock Holmes am Reichenbachfall ein literarisches Denkmal gesetzt. Auch die UNESCO hat diese Gegend mit einem Welterbe-Titel geadelt. 

Zwischen glattgeschliffenem Fels, Schotter und Schneefeldern trotzt eine einzigartige, blütenreiche Vegetation dem rauen Klima. Für gut vier Monate ist diese unwirtliche Gegend die Heimat von 40 Walliser Schwarznasenschafen der Familie Brog. Die Schafe sind mit ihren langen Beinen und ihrer üppigen Wolle, die durch ihre Länge und ungewöhnliche Kräuselung ein wenig an Dreadlocks erinnert, optimal an die Lebensbedingungen im Hochgebirge angepasst. Sie leisten durch die Beweidung einen wichtigen Beitrag zum Erhalt der Bergblumenvielfalt, da sie Gräser kurz halten und so den sonnenhungrigen Blütenpflanzen mehr Raum geben. 

Das Wollreich der Familie Brog

Als im Jahre 1996 die ersten Walliser Schwarznasenschafe auf den Hof von Ruth und Heinz Brog im Berner Oberland zogen, ahnte niemand, dass damit der Grundstein für ein sehr erfolgreiches Wollprojekt gelegt wurde. Inzwischen halten die Brogs mehr als 180 Schafe, darunter auch Merinolandschafe, und haben eine Wollmanufaktur in Meiringen aufgebaut, die pro Jahr mehrere Tonnen Wolle zu Wollflies verarbeitet. Die Wolle bildet die Grundlage für künstlerische Filzarbeiten und Wollbetten, die im Wollreich Meiringen produziert werden. Zugleich organisiert Familie Brog die Wollannahmestelle für die Initiative Swisswool im Berner Oberland. Swisswool ist eine Initiative, die sich seit 2009 für nachhaltige Landwirtschaft und die Nutzung schweizerischer Schafwolle als regionale Ressource einsetzt. An 26 Wollannahmestellen können Schafbauern nun ihre Wolle zu festgelegten und fairen Preisen verkaufen. Vor Gründung von Swisswool wurde ein Großteil der Wolle vernichtet, da es keinen Absatz für sie gab. 

Ein Schäfer und sein Schaf
© ORTOVOX SWISSWOOL

Gut 400 Tonnen Schafwolle werden inzwischen jedes Jahr eingesammelt und zu hochwertigen Wolldecken, Matratzen, Schlafsäcken oder Füllmaterialen verarbeitet. Auch der deutsche Bergsportausrüster Ortovox setzt seit einigen Jahren auf Swisswool und verwendet die Schweizer Wolle als Isolationsmaterial in Funktionsbekleidung. Ortovox beweist mit seinen erfolgreichen Outdoor-Kollektionen, dass es durchaus ökologische und nachhaltige Alternativen zu Kunstfasern gibt.„Es gibt einfach nichts Besseres als Schafwolle“, schwärmt Heinz Brog in einem Videospot, der Werbung für die Initiative Swisswool und die Funktionsjacken von Ortovox macht. 

Wolle sehen, spüren und erleben

Doch Familie Brog ist die Verarbeitung der Wolle noch nicht genug. In ihrem vom UNESCO-Welterbe-Preis ausgezeichneten Projekt „Wolle sehen, spüren und erleben“ möchten sie Menschen die komplette Wertschöpfungskette vom Schaf bis zum Produkt vermitteln. Im nächsten Jahr werden sie dafür ein Woll-Kompetenzzentrum unweit ihres Bergbauernhofes und des legendären Reichenbachfalls errichten, in dem sich ihr Schafstall, ihre Wollverarbeitungsmanufaktur, aber auch Seminarräume und Gastronomie mit heimischen Produkten und Schaffleisch unter einem Dach befinden werden. 

Schon vor ein paar Jahren haben sie mit viel Erfolg ihre urige Alphütte „Zwirgi“ zu einer ökologischen Gästeunterkunft ausgebaut. Vom Dämmmaterial, den Betten, Teppichen bis hin zu den liebevoll gestalteten Filzaccessoires ist alles aus Schafwolle gefertigt worden. Wer gut zu Fuß ist und die Schafe auf ihrer felsigen Alpweide in ca. 2.000 Metern Höhe erleben möchte, kann außerdem Führungen durch die tosende Rosenlaui-Gletscherschlucht bis hinauf zum Gletscher buchen. Wenn Heinz Brog die Tour begleitet und langsam der Abend hereinbricht, wird er zum Schutz seiner Schafe ein traditionelles Hirtengebet in die Bergwelt entsenden. Keine Touristenattraktion, sondern Zeugnis tiefer Naturverbundenheit, Tierliebe und Tradition, die bei Familie Brog eng miteinander verwoben sind und auf authentische Weise gelebt und vermittelt werden. Genau darin liegt wohl auch das Geheimnis für die Erfolgsgeschichte der Familie Brog. 

Svenja Furken

Fotos: © ORTOVOX, BEECH

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