Tiertransporte in Hochrisikostaaten:

Zur Strafbarkeit von Tierärzten wegen Beihilfe zur Tierquälerei durch Mitwirkung an Tiertransporten in tierschutzrechtliche Hochrisikostaaten

„Niemand darf eine Tierbeförderung durchführen oder veranlassen, wenn den Tieren dabei Verletzungen oder unnötige Leiden zugefügt werden könnten.“

(Artikel 3, Europäische Tiertransportverordnung)

Ein Interview mit Prof. Dr. Jens Bülte.

Prof. Dr. Jens Bülte ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht an der Universität Mannheim. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im deutschen und europäischen Wirtschaftsstrafrecht.

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Bülte: Seit Jahrzehnten werden eklatante Tierschutzverstöße beim Transport von Schlacht- und Zuchttieren insbesondere in bestimmte Drittstaaten dokumentiert. Sind landwirtschaftlich genutzte Tiere beim Transport durch das deutsche/europäische Recht ausreichend geschützt?

Würde man die Vorgaben der EU-Tiertransportverordnung konsequent durchsetzen, dann wären Tiere bei Transporten vor schweren Tierschutzverstößen wohl besser geschützt. Wichtiger wäre aber die Frage, welchen Sinn Tiertransporte über solche weiten Strecken überhaupt haben. Finanzielle Gründe allein rechtfertigen diese schwerwiegenden Eingriffe in den in EU-Recht und deutscher Verfassung verankerten Tierschutz natürlich nicht.

Nicht nur Schlachttiere werden nach einem strapaziösen Transport im Zielland geschlachtet, auch Zuchttiere werden früher oder später zu den vor Ort herrschenden Bedingungen getötet. Sind diese Schlachtpraktiken, insbesondere die Schlachtung ohne Betäubung, mit unserem Tierschutzgesetz vereinbar?

Das ist pauschal kaum zu beurteilen, aber man wird annehmen müssen, dass die Schlachtbedingungen insbesondere in vielen traditionellen Schlachtereien, in denen geschächtet wird, mit dem, was man in Europa unter tierschutzrechtlichen Mindeststandards versteht, nichts zu tun haben. Eine Studie über die Schlachtbedingungen in Iran, die im Februar 2019 im Journal of Applied Animal Welfare Science veröffentlicht wurde, macht das zumindest für diesen Staat deutlich.

Sie haben im März dieses Jahres eine Stellungnahme veröffentlicht, nach deren Auffassung deutsche Tierärzte „strafbare Beihilfe“ zur Tierquälerei leisten, wenn sie an der Genehmigung, Abfertigung oder sonst an der Durchführung eines Transports in einen „tierschutzrechtlichen Hochrisikostaat“ mitwirken. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Nach deutschem Strafrecht leistet jeder objektiv Beihilfe zu einer Straftat, der in irgendeiner Weise an der vorsätzlichen rechtswidrigen Tat eines anderen mitwirkt. Ob er dem Einbrecher lange vor der Tat zeigt, wie man einen Schweißbrenner benutzt oder am Tatort die Leiter hält, ist grundsätzlich irrelevant. Es kommt nur darauf an, dass seine Handlung die Tat fördert und der Gehilfe zumindest die Möglichkeit erkennt und sich damit abfindet, dass er die Straftat unterstützt. Daher liegt es nahe, die Beihilfestrafbarkeit eines Amtsveterinärs zu erwägen, der einen Transport abfertigt oder eine notwendige Bescheinigung ausstellt, obwohl er um das hohe Risiko weiß, dass es bei dem Transport oder infolge des Transports zur Tierquälerei kommt.

Was ist ein „tierschutzrechtlicher Hochrisikostaat“?

Unter einem Hochrisikostaat verstehe ich einen Staat, in dem das Risiko der tierquälerischen Haltung oder Behandlung von Tieren aufgrund von Berichten erfahrungsgemäß höher ist als in Deutschland. Von „Hochrisiko“ spreche ich, weil es irreführend wäre, „nur“ von Risikostaaten zu sprechen. Das würde implizieren, dass Haltung und Transport innerhalb der Europäischen Union regelmäßig ohne Rechtsverletzungen erfolgen, und das wäre unzutreffend.

Wann kommt eine sogenannte „Strafbarkeit“ von deutschen Amtstierärzten in Betracht?

Eine tatsächliche Strafbarkeit – nicht nur sogenannte – kommt in Betracht, wenn der Tierarzt für einen Transport ins Ausland in Deutschland irgendeinen Beitrag leistet – zum Beispiel durch die Ausstellung eines Vorlaufattests oder die Abfertigung des Transports – obwohl er es für naheliegend hält, dass es bei dem Transport oder auch später zu einer nach deutschem Recht strafbaren Tierquälerei kommt. Er macht dann mit seiner Handlung den Weg frei für den Transport in die strafbare Tierquälerei. Ob noch weitere Genehmigungen anderer Behörden eingeholt werden müssen, ist grundsätzlich nicht relevant, solange der Veterinär es für möglich hält, dass diese rechtswidrig erteilt werden.

Darauf, ob die Handlung am Tatort im Ausland nicht strafbar oder gar ausdrücklich erlaubt ist, wie etwa in manchen Staaten das Schlachten ohne Rücksicht auf die Schmerzen der Tiere, kommt es nicht an. Wenn die Handlung, wäre sie in Deutschland begangen worden, strafbar ist, dann darf der Tierarzt sie aus Deutschland nicht unterstützen. Es wäre ja auch widersinnig, wenn der deutsche Gesetzgeber entscheidet, Tierquälerei unter Strafe zu stellen, es dann aber zuließe, dass seine Amtsträger dieses sozialwidrige Verhalten im Ausland unterstützen.

In ihrer Stellungnahme sprechen Sie von einer „Solidarisierung“ mit dem Täter und seiner Tat. Was meinen Sie damit?

Der Bundesgerichtshof hat die Strafbarkeit wegen Beihilfe eingeschränkt, um die Strafbarkeit nicht ausufern zu lassen: In bestimmten Fällen soll die Hilfeleistung in dem Wissen, dass man möglicherweise eine fremde Straftat unterstützt, nicht ausreichen. Hierbei geht es etwa um Fälle, in denen die Hilfe bei der Berufsausübung geleistet wird. Verkauft jemand im Baumarkt eine Leiter, dann ist das auch dann keine strafbare Beihilfe, wenn der Kunde damit später einen Einbruchdiebstahl begeht. Das gilt selbst dann, wenn der Verkäufer bei der Übergabe der Leiter gedacht hat, der Käufer sehe kriminell aus und wolle bestimmt irgendwo einsteigen.

Diese Einschränkung der Strafbarkeit ist notwendig, um die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft und des Alltagslebens zu garantieren. Handlungen, die zu der Straftat grundsätzlich in keiner Beziehung stehen, also „neutral“ sind, werden erst zur strafbaren Beihilfe, wenn durch das besondere Wissen des Gehilfen über die Tat eine spezifische Nähe zum Unrecht entsteht. Der Verkäufer kann also strafbar sein, wenn er weiß, dass der Käufer ein Berufseinbrecher ist oder gehört hat, wie er mit einem Komplizen die Tat besprochen hat. Wer in einem solchen Fall bewusst zur Tat eines anderen beiträgt, solidarisiert sich mit dem Täter und macht sich damit strafbar.

Vor diesem Hintergrund kam die Frage auf, ob die Abfertigung eines Tiertransports eine berufsneutrale Handlung sein könnte, also nur dann strafbar ist, wenn der Tierarzt Kenntnis von einer zumindest sehr hohen Wahrscheinlichkeit der drohenden Tierquälerei im Ausland hat. Ich halte das aber für nicht überzeugend. Das Veterinäramt hat als Gefahrenabwehrbehörde zu verhindern, dass durch die Tiertransporte oder in ihrer Folge den transportierten Tieren unnötiges Leid zugefügt wird. Daran wird der entscheidende Unterschied zu den vorgenannten Fällen deutlich: Der Tierarzt steht dem Leid der Tiere nicht neutral gegenüber, sondern hat sie durch seine Diensthandlungen vor Leid, Schmerz und Schaden durch Tiertransporte zu beschützen. Man würde ja schließlich auch nicht von einer berufsneutralen, sondern von einer strafbaren Beihilfe ausgehen, wenn ein Polizeibeamter bei einer Verkehrskontrolle ein Drogenpaket auf dem Rücksitz eines Autos mit der Begründung ignoriert, er gehöre nicht zur Drogenfahndung.

Wie kann ein deutscher Amtstierarzt sichergehen, dass er sich nicht strafbar macht?

Wenn ein Tierarzt erkennt, dass ein Transport mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Tierquälerei führt, muss er jede Mitwirkung ablehnen. Er muss von seinem Remonstrationsrecht gegenüber seinen Vorgesetzten Gebrauch machen. Wenn diese ihn zur Mitwirkung anweisen, sollte er sich durch das Verwaltungsgericht zu dieser zwingen lassen. Denn die Anweisung des Vorgesetzten befreit den Beamten bei Straftaten nicht von der eigenen Verantwortlichkeit. Wenn das Gericht eine entsprechende Anordnung trifft, hat der Amtstierarzt sie aber letztlich zu befolgen.

Können sich auch andere am Transport beteiligte Personen strafbar machen?

Natürlich können sich auch alle anderen Personen, die an dem Transport beteiligt sind, strafbar machen. Ein Transporteur, der den Transport so organisiert, dass Tierleid nicht verhindert wird, kann sich als Täter wegen Tierquälerei strafbar machen. Ein Rechtsanwalt, der vor Gericht Genehmigungen oder ähnliches durchsetzt, obwohl er weiß, dass es auf dem Transport zu Tierquälereien kommen wird, kann sich wegen Beihilfe strafbar machen. Beim mitwirkenden Rechtsanwalt sind die Voraussetzungen an das Wissen jedoch hoch, denn er handelt grundsätzlich berufsneutral.

Für die Abfertigung eines Tiertransportes, der in Drittstaaten geht, sind im Wesentlichen zwei Schritte notwendig. In einem ersten Schritt wird ein Gesundheitszeugnis (sogenanntes Vorlaufattest) vom zuständigen Veterinär ausgestellt, das lediglich die Seuchenfreiheit der Tiere bescheinigt, allerdings Voraussetzung für den Transport zu einer Sammelstelle ist. Kann hier schon ein Straftatbestand der Beihilfe entstehen? Oder ist dies erst beim zweiten Schritt (der Abfertigung des Transports von der Sammelstelle ins Ausland) der Fall?

Das Strafrecht trennt bei der Beihilfestrafbarkeit nicht zwischen einzelnen Vorstufen auf dem Weg zu einer Straftat. Es kommt nicht darauf an, ob nach der Hilfeleistung noch weitere Handlungen anderer Personen erforderlich sind, um die Tat zu begehen. Daher kommt auch die Erteilung des Vorlaufattests als strafbares Hilfeleisten in Betracht, denn dieses Attest ist eine notwendige Bedingung für die Straftat. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Transport von der für die Ausfuhr zuständigen Behörde nicht hätte abgefertigt werden dürfen. Denn wer ein Rechtsgut durch seine Diensthandlung zu beschützen hat, kann sich nicht darauf berufen, er müsse seine Pflicht nicht erfüllen, weil später noch eine weitere Prüfung vorgesehen ist.

Muss ein Amtstierarzt ein solches Vorlaufattest nicht ausstellen?

Ein Amtstierarzt, der es aufgrund von glaubhaften Informationen ernsthaft für möglich hält, dass es auf dem Transport oder später bei der Schlachtung im Empfängerstaat zu Tierquälereien kommen wird, darf das Attest nicht ausstellen.

In Schleswig-Holstein gab es hierzu einen konkreten Fall: Der Kreis Rendsburg-Eckernförde hatte einen Rindertransport mit vorherigem Zwischenstopp in einer Sammelstelle in Niedersachsen nach Marokko verboten. Begründung: Es sei zu befürchten, dass der Weitertransport nach Marokko von den niedersächsischen Veterinärbehörden genehmigt werde und dass die Tiere dann sowohl während des langen Transports als auch in Marokko selbst tierschutzwidrig behandelt würden. Daraufhin klagte ein Rinderzuchtunternehmen. Das Oberverwaltungsgericht Schleswig gab in seinem Beschluss dem Zuchtunternehmen Recht: Das Veterinäramt des Kreises Rendsburg-Eckernförde kann den Transport von Rindern zu einer Sammelstelle in Niedersachsen und darüber hinaus nach Marokko nicht aus tierschutzrechtlichen Gründen verbieten. Wie kommt es zu diesem Beschluss?

Man muss diese Rechtsprechung wohl als mittlerweile gefestigte Rechtsprechung bezeichnen, weil es einige solcher Beschlüsse aus verschiedenen Bundesländern gibt. Hintergrund dieser Rechtsprechung ist, dass einige Veterinärbehörden sich geweigert haben, Transporte in Drittländer abzufertigen. Um diese „unwilligen“ Behörden zu umgehen, bringen die Transporteure die Tiere zu Sammelstellen in Landkreisen, die immer noch Transporte abfertigen. Für einen solchen Transport zur Sammelstelle benötigt man ein tierseuchenrechtliches Vorlaufattest. Manche Veterinärbehörden haben sich jedoch geweigert, diese Atteste auszustellen und das damit begründet, dass sie den illegalen Transporten in Drittländer nicht Vorschub leisten dürfen. Die Verwaltungsgerichte haben nun angeordnet, die Atteste auszustellen, weil sie nicht unmittelbar zum Transport in Drittländer führen und daher noch keine Gefahr eines quälerischen Transports drohe.

Was setzen Sie diesen Beschlüssen entgegen?

Zunächst leiden die Beschlüsse unter einem inneren Widerspruch: Wenn die Behörde glaubhaft machen kann, dass die Transporte, zu denen die Vorlaufatteste notwendig sind, mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Tierquälerei führen, was soll dann eine spätere Prüfung noch bringen? Warum sollte ein Unternehmer einen Anspruch auf eine Bescheinigung haben, die er nur zu einer illegalen Handlung verwenden kann? Hier wird die Veterinärbehörde gezwungen, eine Bescheinigung zu erteilen, obwohl sie genau weiß, dass der fragliche Transport nicht durchgeführt werden darf. Das Gericht zwingt die Behörde damit zur Mitwirkung an einer möglichen Tierquälerei, die diese Behörde gerade verhindern soll.

Wenn das Gericht zudem anmerkt, die Behörde habe bei dem Vorlaufattest nur das Tierseuchenrecht und nicht das Tierschutzrecht zu prüfen, dann ist das mit dem verfassungsrechtlichen Auftrag zum Tierschutz nicht vereinbar. Keine Behörde darf zu Tierquälerei Vorschub leisten. Genau dazu zwingen die Beschlüsse nun aber.

PROVIEH fordert einen gänzlichen Stopp aller Schlacht- und Zuchttiertransporte in Drittstaaten, da die europäischen Tierschutzstandards weder beim Transport noch bei der Schlachtung vor Ort gewährleistet werden können. Würden Sie diese Forderung aus juristischer Sicht stützen?

Soweit der Transporteur nicht durch ein engmaschiges und sicheres Netz an Überwachungsmaßnahmen ausnahmslos garantieren kann, dass alle europäischen Standards eingehalten werden können, ist diese Forderung zwingend.

Vielen Dank

Das Interview führte Jasmin Zöllmer

Dieses Interview ist im PROVIEH-Magazin „respektiere leben.“ 02-2019 erschienen.

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