Das Schwäbisch-Hällische Schwein

Die Nachkriegsphilosophie der deutschen und europäischen Agrarpolitik war es, die Menschen mit billigem Fleisch zu versorgen und den Landwirten ein gesichertes Einkommen zu verschaffen. Diese Politik förderte und fördert einseitig Masse statt Klasse und führt zu Schnäppchenpreisen für Schnitzel, Milch, Butter und Eier. Jahr für Jahr wurde Fleisch – relativ zum wachsenden Einkommen der Verbraucher – billiger. Die Gewinne landwirtschaftlicher Haupterwerbsbetriebe in Deutschland gingen dagegen kontinuierlich zurück.

Um diese finanziellen Einbußen auszugleichen, werden immer mehr Tiere auf immer engerem Raum und mit immer weniger Arbeitseinsatz gehalten. Das heißt: Spaltenböden statt Stroh, Antibiotika statt Sonne, Luft und Regen, Käfig statt Auslauf und „Leistungshybriden” statt Rassenvielfalt.

Das Schwäbisch-Hällische Schwein
Das Schwäbisch-Hällische Schwein © Anne Webert

Besonders in der Schweinezucht und Schweinemast sollte das Fleischverlangen der Konsumenten befriedigt werden, ohne Rücksicht auf die anatomischen und physiologischen Voraussetzungen der Tierart. Die Verbraucher verlangen fettarmes Muskelfleisch – die Züchter und Produzenten liefern.

Schweinefleisch ist von Natur aus mit Fett durchsetzt. Es besteht nachweislich ein hoher Zusammenhang zwischen Stressanfälligkeit und einem verminderten Fettgehalt der Schweine. PSE-Fleisch (pale, soft and exudative) ist das bekannte Schnitzel, das in der Pfanne um die Hälfte schrumpft, um danach zäh und trocken zu schmecken. Die Turbosau ist ein auf Höchstleistung getrimmtes, frühreifes Lebewesen mit einem im Verhältnis zum Körpergewicht viel zu kleinen Herzen. In einer absolut reizarmen Stallumgebung kann so schon die kleinste Belastung zum Herzinfarkt führen.

Die Grenzen der Belastbarkeit sind beim Masttier längst erreicht. Um dieser „elenden Viecherei” etwas entgegen zu setzen, hat sich 1986 die Züchtervereinigung „Schwäbisch-Hällisches Schwein” gegründet. Die Verarmung der natürlichen Artenvielfalt ist eine Begleiterscheinung der intensiven und technisierten Landwirtschaft. Insbesondere für den ökologischen Landbau ist es deshalb notwendig und auch Voraussetzung, dass es robuste und genügsame Nutztierrassen gibt, die an die jeweiligen regionalen Verhältnisse angepasst sind und durch ihre angeborene Vitalität und Gesundheit ohne den Einsatz von pharmazeutischen Hilfsmitteln aufwachsen können.

Zudem ist die Fleischqualität des Schwäbisch-Hällischen Schweins so außergewöhnlich gut, dass 1998 der Begriff „Schwäbisch-Hällisches Qualitätsschweinefleisch” durch Beschluss der EU-Kommission unter EU-weiten Schutz gestellt wurde, vergleichbar mit „Parma-Schinken”, „Cognac” oder „Champagner“.

Für den Absatz von Zuchttieren und Schlachtschweinen sorgt die „Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall”. In die Gastronomie wandern 30 Prozent des Qualitätsschweinefleischs, die restlichen 70 Prozent werden über Fleischer-Fachgeschäfte vermarktet. So kennen Produzenten und Kunden einander und wissen diesen engen Kontakt zum Wohle der Produktqualität zu schätzen.

Ein Ferkel vom Schwäbisch-Hällischen Schwein
Ein Ferkel vom Schwäbisch-Hällischen Schwein © Anne Webert

Das Schwäbisch-Hällische Landschwein ist eine alte Hausschweinrasse aus dem Nordosten Baden-Württembergs, insbesondere aus dem namengebenden Landkreis Schwäbisch Hall. Eber werden 90 cm groß und 275 bis 330 kg schwer, Sauen 80 cm groß und 222 bis 275 kg schwer. Kopf, Hals und Hinterteil sind schwarz, Vorderbeine und Körper sind nicht pigmentiert.

Alle Sattelschweinrassen gehen vermutlich auf das Maskenschwein Asiens zurück. Bis ins 18. Jahrhundert wurden in Europa nur domestizierte Nachfahren des Wildschweins als Hausschwein gehalten. 1820 führte der württembergische König Wilhelm I. zur Förderung der Landwirtschaft chinesische Maskenschweine ein.

Charakteristisch sind neben dem schwarzen Kopf und Hinterteil die großen Schlappohren. Seit seiner Züchtung ist das Schwäbisch-Hällische Landschwein die fruchtbarste aller Schweinerassen. Die Fruchtbarkeit wurde planmäßig gefördert und erstreckte sich bis in die 1960er Jahre auf die Merkmale: Anzahl geborener Ferkel, Geburtsgewicht, Anzahl der Ferkel nach vier Wochen und Vier-Wochen-Gewicht (Milchleistung).

Beim Schwäbisch-Hällischen Schwein wären die hohen Zuchtleistungen undenkbar ohne die ausgesprochen guten Muttereigenschaften der Sauen. Diese Schweinerasse ist robust, zu hundert Prozent stressresistent, gutmütig, sehr fruchtbar und liefert ein schmackhaftes Fleisch. Die Schweine zeichnen sich durch hohe Vitalität, Widerstandsfähigkeit, Langlebigkeit und ein stabiles Fußwerk aus.

2005 wurde das Schwäbisch-Hällische Landschwein in über 300 Betrieben gehalten. Die Aufzucht und Mast geschieht nur mit Futter aus der Umgebung, ohne Masthilfsstoffe und ohne gentechnisch verändertes Futter. Dass die genetische Verarmung an Nutztierpopulationen ein ökologisches und gesellschaftlich relevantes Problem darstellt, war in den 1960er Jahren kaum bekannt. Den Bauern, die an kleinen Restbeständen der vormals so geschätzten Schwäbisch-Hällischen Landschweine festhielten, ist es zu verdanken, dass diese alte Hausschweinrasse nicht ausgestorben ist.

Janet Strahl,
Juni 2006

Fotos: © Anne Webert anne-art.com/