Der Kälberhelfer – ein schneller Praxis-Leitfaden für mehr Kälberwohl 

Rund jeder zehnte Milchviehbetrieb verzeichnet bei den Kälbern mehr als zehn Prozent Aufzuchtverluste. Hinzu kommen die aus unterschiedlichen Gründen tot geborenen Tiere. Ursächlich für hunderttausende toter Kälber sind vor allem Durchfall, Atemwegserkrankungen und Nabelinfektionen, die durch Stellschrauben im Management aufgefangen werden könnten.

PROVIEH hat gemeinsam mit Tierärzten, Wissenschaft sowie Landwirt:innen einen Praxis-Leitfaden entwickelt, der helfen soll, das Kälberwohl auf den Milchviehbestrieben im Land zu fördern.   


Das rein praxisorientierte Papier greift auf 14 Seiten anschaulich die sechs wichtigsten Bausteine vom Trockenstellen der Mutter, über die Geburt, die Erstversorgung und Kolostralmilchgabe des Kalbes sowie die Fütterung und Haltung in den ersten Lebenswochen auf. Essenzielles Wissen und ganz konkrete Praxistipps können direkt in Stall und Weide an Mutter und Kalb als Stellschrauben für das Tierwohl genutzt werden. 


Basics der Kälberhaltung 

Die Grundsteine für gesunde Kälber werden bereits bei der bestmöglichen Versorgung und dem richtigen Trockenstellen der Mütter gelegt. Totgeburten sind durch eine gute Tierkontrolle und -beobachtung zu minimieren. Haltung und Fütterung spielen eine entscheidende Rolle. Im Praxisleitfaden werden die folgend beschriebenen Problembereiche mit Tipps und Handlungsempfehlungen aufgegriffen – hier eine Übersicht über die wichtigsten Stellschrauben für das Tierwohl bei Kälbern.  

Kolostralmilch 

Eine bestmögliche Versorgung mit der Kolostralmilch, die erste Muttermilch nach der Geburt des Kalbes, legt einen unterschätzen Grundstein für die spätere Gesundheit der Kälber. Denn etwa 75 Prozent der ohne Kontrolle saugenden Kälber nehmen nicht genug Kolostrum auf und sind somit lebenslang anfälliger für Krankheiten. In der Regel werden die Kälber sehr schnell nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und müssen somit vom Menschen versorgt werden. Das Kalb sollte so schnell wie möglich nach der Geburt das wertvolle Erstgemelk der Mutter oder zumindest ein Gemisch der hofeigenen Kolostralmilch erhalten. Drei, besser vier Liter, sofern hygienisch ermolken, aufbewahrt und verabreicht, sichern eine gute Versorgung mit den darin enthaltenen herdenspezifischen Immunglobulinen. Essenziell wichtig ist dabei die Hygiene beim Melken, sowie bei Milchkanne, Tränkeimern beziehungsweise -flaschen und den Saugern. Hier eskaliert ansonsten der Keimgehalt und mindert damit die positive Wirkung zum Teil erheblich. 

Milchfütterung: Restriktiv und bei Krankheit fehlerhaft 

Die Versorgung der Kälber auf Milchviehbetrieben erfolgt sehr häufig nach alter Manier nur zweimal täglich. Bei Durchfall wird dann noch weniger gefüttert oder die Milchtränke wird mit Wasser verdünnt. Verdünnte Milch ist aber kontraproduktiv, da diese im Labmagen nicht ausreichend gerinnen kann und so die Verdauung noch weiter gestört wird. Wichtig wäre hier stattdessen eine gute Tierbeobachtung, um frühestmöglich Krankheiten zu erkennen und die Ursache mit Hilfe des Tierarztes abzuklären. Nicht selten liegt es schlicht und ergreifend daran, dass das Kalb so hungrig ist, dass es zu hastig trinkt und es dadurch zu Verdauungsproblemen kommt. Schnelle Abhilfe brächte bereits ein Eimernuckelaufsatz mit größerem Saugwiederstand und im zweiten Schritt eine Aufteilung der Gesamtmilchmenge auf mehrere Mahlzeiten.  

Goldene Regel: Milch & Wasser ad-libitum 

Als optimal für die Entwicklung wird eine ad libitum Tränke empfohlen, also eine Tränke, wo das Kalb beliebig viel Milch zu sich nehmen kann. Unerlässlich ist eine mindestens dreimalige Fütterung pro Tag. Zudem sollten Kälber, die an Durchfall leiden, Elektrolyt-Lösungen sowie Puffersubstanzen in Form von Bicarbonat erhalten und dazu ab dem ersten Lebenstag Wasser zur freien Verfügung für sie bereitstehen. Es sollte keinesfalls nicht verkehrsfähige Milch, also Milch von kranken oder mit Antibiotika behandelten Kühen, getränkt werden, da dies das Immunsystem des jungen Kalbes zusätzlich schwächt.  

Investment in Kälberversorgung rechnet sich 

Untersuchungen zeigen, dass eine gute Versorgung mit Kolostrum zu gesunden und frohwüchsigen Kälbern führt. Noch mehr, die Tiere bleiben auch im Erwachsenenalter gesünder. Eine nachfolgend weiterführende gute Versorgung in den ersten Lebenswochen fördert überdies das Zellwachstum. Da hier bereits die „metabolische Programmierung“ erfolgt, werden für Bullen die Weichen für hohe tägliche Zunahmen und für weibliche Tiere für eine höhere Milchleistung gestellt.  

Für die Betriebsleiter:innen bedeutet dieser Zusammenhang somit, dass es sich tatsächlich rechnet, in eine gute Kälbergesundheit der zukünftigen Milchkühe zu investieren. Bei Bullenkälbern und nicht zur Remontierung oder zum Weiterverkauf als Zuchttier genutzten Kuhkälbern ist dies letztendlich ebenso.  

Verkauf an Mäster: Einsatz muss sich auszahlen 

Allerdings mästen die wenigsten Betriebe selbst und so steht und fällt der „Mehrwert“ einer guten Versorgung damit, ob die Viehhändler für gesündere, schwerere Kälber mehr zahlen. Hier muss ein Markt geschaffen und der Dialog zwischen den Betrieben und zu den Mästern ausgebaut werden, zum Beispiel über mögliche höhere Preise, Tränke (Vollmilch oder Milchaustauscher) und Zusatzfutter sowie über den Impfstatus der Kälber. Regionale Vermarktungskonzepte können zudem den Absatz sichern und helfen, längere Tiertransporte zu vermeiden.  

Dokumentation: das A & O 

Insgesamt ist eine Kälberhaltung nur so gut wie das Management auf dem Betrieb. Betriebe, die das Geburtsgewicht und das Absetzgewicht dokumentieren, sind derzeit noch in der Minderheit. Aufzeichnungen zu Gesundheit und Bedingungen des Trockenstellens beim Muttertier, Beschaffenheit der Kalbung, der aufgenommenen Kolostralmilch, aufgetretenen Erkrankungen beim Kalb und so weiter können später von unschätzbarem Wert sein. Denn eine solch einfache Dokumentation hilft Schwachstellen aufzudecken und motiviert durch sichtbare Erfolge in die Immunprophylaxe, eine gute Versorgung und in eine optimale Haltung zu investieren. 

Kälberhaltung: Sozialkontakt statt wochenlanger Haltung in Einzelboxen 

Besonders Kälberboxen bedeuten für die Kälber Stress durch Isolation, Reizarmut und zu wenig mögliche Bewegung. Beim Wechsel in die ab der achten Woche vorgeschriebene Gruppenhaltung sind die Kälber dann häufig überfordert. Hier sind überdachte “Kälberdörfer“ (Iglus mit Auslauf) mit Sozialkontakt zu den Nachbarkälbern, idealerweise in Pärchenhaltung, eine mögliche Alternative für die ersten Lebenstage. Zusätzlich bedeuten die Trennung von der Mutter, das Enthornen, der spätere Transport zum Aufzucht- oder Mastbetrieb großen Stress für die Tiere, dem nur durch bestmögliches, schonendes Handling beizukommen ist. 

Kälberstrategie entwickeln: Genetik, Sexing, Zwischenkalbezeit & Vermarktung 

Die Herausforderung für Milchviehbetriebe besteht darin, tragbare und langfristig sinnvolle Lösungen zu entwickeln. Ein bestmögliches Management für wenig Kälberverluste und gesunde, frohwüchsige Kälber bei einer tiergerechten Kälberhaltung und –vermarktung ist erstmal das Ziel. Auch eine Erhöhung der Zwischenkalbezeit für insgesamt weniger Kälber pro Jahr, eine gute Planung der Remontierung mit einem Puffer von 15 Prozent, Zuchtprogrammkälber/ Fleischprogrammkälber mit planbaren Abnahmemengen und kurzer Wertschöpfungskette, die Auswahl von Sperma (Spermasexing) für weibliche Nachzucht und männliche Mastbullen (Kreuzung mit Fleischbullen) spielen hierbei eine wichtige Rolle, um die Kälberzahlen zu senken beziehungsweise diese gezielt zu planen. 

Kathrin Kofent 

Beitrag teilen