Wo stolze Kühe leben

Ein Interview mit Anja Hradezky

Sie haben gemeinsam mit Ihrem Mann vor ein paar Jahren einen Hof gegründet. Warum sind Sie Bäuerin geworden?

Eine stolze Kuh und eine Frau
© Anja Hradezky

Ich wollte eigentlich Umweltwissenschaften studieren, aber das sollte sehr theorielastig sein. Dann habe ich das Ökolandbau-Studium entdeckt und mich umentschieden. Ich wollte mit der Natur arbeiten und mit Tieren um mich herum. Das macht mich glücklich. 

Viele Mitstudierende hatten anfangs die Idee, einen kleinen Hof zu bewirtschaften. Bei mir ging die „Reise“, über die ich auch ein Buch geschrieben habe, über das Westernreiten zu Fleischrindern und mit meinem Mann gemeinsam dann dazu, dass man die Kühe ja auch melken kann und nicht nur fürs Schlachten halten muss. Zu diesem Zeitpunkt war uns schon klar, dass wir selbstständig arbeiten wollen, um unsere Ideale umzusetzen. 

Als Milchbäuerin sind Sie 24/7 mehr oder weniger an Ihren Hof gebunden. Feiertage, Urlaub – das alles ist ja eher wenig vorhanden. Was lieben Sie an Ihrem Beruf?

Ich liebe es, morgens im Nationalpark auf der Weide zu melken – im Moment mit Morgennebel und den Zugvögeln. Das ist mein persönlicher Glücks-Anker. Mir ist aber auch sehr wichtig, regelmäßig wegzukommen vom Hof. Uns können genauso Fehler passieren wie den Menschen, die uns auf dem Hof vertreten. Also können wir auch loslassen. Für die Familie und gegen Betriebsblindheit ist das von Vorteil. Gerade haben wir das erste Mal keinen Bauernhofurlaubgemacht. Diesen haben wir sonst für neue Inspiration genutzt.

Sind Landwirte und Bauern in unserer Gesellschaft hoch angesehen oder haben Sie das Gefühl, dass hier ein Graben besteht?

Ja, bei der Frage legt sich schon eine Schwere auf mich. Dann kommt das Vergleichsmonster, denn ich weiß, dass in fast allen Bereichen mehr Geld verdient wird. Wir wollen unseren Angestellten gern mehr als Mindestlohn zahlen, aber das geht nicht, weil bei all den nötigen Investitionen nicht genug Geld reinkommt. Und das obwohl wir mit der selbst verarbeiteten Demeter-Heumilch bereits die höchsten Preise haben. Bei uns bekommen allerdings die Kälber so viel Milch, wie es ihnen zusteht und dabei bleiben wir. Aber ohne Ausbeutung lässt sich schwer Geld verdienen.  

Die Kühe mit ihren Kälbern auf einer Wiese
© Anja Hradezky

Welche akuten Entwicklungen der Milchwirtschaft empfinden Sie als positiv?

Mir geben die Demeter-HeuMilch Bauern im Allgäu enorme Hoffnung. Sie entscheiden sich für die Tiere und zunächst gegen ihren eigenen Nutzen. Hut ab! Sie zeigen, dass wir den alten Pfad verlassen können und machen sich auf den Weg, ohne ein sicheres Ziel vor Augen zu haben. Solche Bäuerinnen und Bauern wünsche ich mir in der Mehrheit. 

Wo liegen Ihrer Meinung nach in Zukunft die Herausforderungen für die Land- beziehungsweise Milchwirtschaft?

Die Herausforderungen bestehen beim Klimawandel, dem Landgrabbing und den fehlenden Nachfolgern. Wir müssen ausprobieren, was in Trockenperioden noch wächst. Wir merken gerade zum Beispiel, dass es richtig war, auf die richtigen robusten Rassen zu setzen. Für die nachfolgende Generation versuche ich auch ein Bild zu schaffen, wie Leidenschaft und ausbalancierte Arbeit zusammen gehen. Hier brauchen wir unbedingt geförderte Mentoren, die uns Junglandwirte dabei unterstützen. Politische Rahmenbedingungen wären für die bäuerliche Landwirtschaft auch dringend nötig.

Ein Kaelbchen wird auf einer Weide gesaeugt
© Anja Hradezky

Wie stehen Sie zu Eingriffen an der Kuh, zum Beispiel Enthornen?

Ich finde es nicht richtig, die Tiere den Haltungsbedingungen anzupassen. Bei uns sind die Rinder immer draußen und auch durch unsere bewusste stressarme Kommunikation gibt es keine Probleme mit den Hörnern. Das ist schon verrückt, dass das Enthornen so stark forciert wurde. Auch gesextes Sperma und die Hornloszucht sehe ich kritisch, weil sie so einseitig auf die Tiere schaut. Aber gut, es ist ja alles rechtens. Ich mach da nur nicht mit.

Was halten Sie von der ganzjährigen Stallhaltung?

Gut, dass ich in Kanada gesehen habe, dass es ohne Ställe geht und wir unseren auch nur teilweise als Unterstand nutzen können. So kommen wir gar nicht auf solche Ideen. Mit einem Weidemelkstand gibt es auch keine Ausreden mehr: Da melke ich, wo die Kühe hingehören und zwar auf der Wiese. Ich denke, wenn die Landwirtschaft Betreibenden wirtschaftlich an der Wand stehen und die Beratung weiterhin in diese Richtung geht, kann sich gar nichts ändern. 

Ich denke, es braucht gute Beispielbetriebe, die sich Interessierte anschauen können, um ein Bild von anderen Wirtschaftsweisen zu bekommen. 

Bei Ihnen dürfen die Kälber bei den Kühen aufwachsen – was hat Sie dazu gebracht diese Haltungsform zu wählen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Ein Kalb wird gesäugt
© Anja Hradezky

Ich hatte zwei Schlüsselerlebnisse: Auf einem Hof habe ich beobachtet, dass einige Kälber nicht mehr die Zitzen der Kuh angeln konnten, um aus dem Euter zu trinken. Der Nuckeleimer hat diese Generation auf den steiferen, gerade vorstehenden Nuckel trainiert. Es hat mich schockiert, wie schnell wir da die Evolution in eine Richtung entwickeln, die in der Natur nicht mehr lebensfähig wäre. 

Mein zweites Schlüsselerlebnis betrifft den Herdentrieb. Auf einem anderen Hof wurden die Kühe das erste Mal auf die Weide gelassen und die Kälber sollten hinterher. Sie hatten aber keinen Herdentrieb mehr nach ihren ersten Monaten in Einzelhaft. Auch Monate später gingen sie nicht automatisch mit. Da verkümmern überlebenswichtige Instinkte! Gruselig! Da wusste ich: Bei uns bleiben die Kälber mit den Kühen zusammen.  Wenn jetzt Kühe, die ihre Kälber nie bei sich hatten, Zeit zu zweit haben, rührt mich das immer wieder zu Tränen. 

Wie würde Ihr perfekter Bauernhof aussehen?

Mein perfekter Bauernhof hätte arrondiert, das heißt unter Einbezug der angrenzenden Flächen, rund 50 Hektar Land und eine Vielfalt, die alle Kinder der Umgebung mehrmals im Jahr mit bewirtschaften. Nur so können wir wieder die nötige Wertschätzung in Kopf und Hände bekommen. Es könnte von mir aus auch 200.000 Lebenshöfe geben und in meiner Nachbarschaft fünf bio-vegane Betriebe, um zu zeigen, dass es geht und Bilder im Kopf zur Wirklichkeit werden. Wir brauchen die Tiere, um die Artenvielfalt zu erhalten. Besonders hier im Nationalpark wird das deutlich: Die Wiesenbrüter brauchen Insekten und begrastes Grünland.

Welche Botschaft haben Sie an uns Verbraucher?

Wenn alle, die sich der Folgen bewusst sind, von bäuerlichen Betrieben Produkte einkaufen, wird sich die Landwirtschaft verändern. Jeder Bissen zählt!

Vielen Dank für das Interview, Frau Hradetzky.

Kuehe bei einem Sonnenaufgang
© Anja Hradezky
Kurzinfokasten über Anja Hradetzky und die Stolze Kuh

Anja Hradetzky, selbständige Kuhflüsterin und Trainerin für wesensgemäße Milchviehhaltung, lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern auf dem 2013 gegründeten Hof Stolze Kuh in Stolzenhagen, Brandenburg. Dort leben die Kälber bei Ammenkühen. Gemolken wird auf der Weide.
Mehr Infos zum Hof Stolze Kuh unter:
www.stolzekuh.de

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