Vision für unsere Milchkühe

wo wir hinmüssen und wie wir zum Ziel kommen 

Infobox 

Mit der Artikelreihe VISION möchten wir Ihnen zeigen, mit welchen Mitteln und Kampagnen sich PROVIEH für die einzelnen Tierarten stark macht. Wir arbeiten mit vollem Tatendrang, um unsere Vision zur Realität werden zu lassen. 

Unser Ziel: artgemäße Rinderhaltung, die sich an den Bedürfnissen der Tiere orientiert  

Kühe gehören auf die Weide. Sie benötigen viel Platz, frische Luft und frisches Gras unter ihren Füßen – und an ihrem Gaumen. Kühe sind Weichbodengänger und Wiederkäuer. Natürlicherweise grasen sie rund zehn Stunden täglich, bewegen sich dabei etwa zehn Kilometer und ruhen den Rest des Tages in kleinen Gruppen. Auf der Weide haben sie einerseits die Möglichkeit in langjährigen, kleinen Gruppen zu leben, andererseits stets genügend Abstand zueinander einzuhalten. 

Foto: © Marco-Govel/stock-adobe.com

Kuh und Kalb gehören zusammen und dürfen mindestens drei Monate gemeinsam aufwachsen, sodass die Kuh ihr Kalb ausreichend tränken, umsorgen und anlernen kann, ehe sich das Kalb ohnehin vom Muttertier absetzen würde. In der Winterzeit und wenn partout kein Weidegang möglich ist, benötigt die Kuh auch im Stall ausreichend Platz, eine großzügige, weiche Liegefläche und einen trittsicheren Boden, auf dem sie sich sicher bewegen und auch mal mit Artgenossinnen kabbeln kann. Eine Alternative zum Baum oder Wall, an dem sich die Kuh in der Natur scheuern würde, ist im Stall eine rotierende Bürste. Weil Hitzestress Rindern enorm zu schaffen macht, muss dieser mit Schatten und Luftschneisen auf der Weide und Ventilatoren und Wasserbestäubung im Stall minimiert werden. Kühe sind Gewohnheitstiere und fühlen sich in vertrauten Abläufen und sozialen Strukturen wohl. Idealerweise bleiben sie ihr gesamtes Leben auf ihrem Heimathof.  
Die Schlachtung findet ebenfalls direkt auf oder in der Nähe des Heimatbetriebes statt, optimalerweise durch Weideschuss oder in einer mobilen Schlachtbox. So bleiben den Tieren oft stundenlange, stressige Transportwege erspart. So sieht unser Zielbild – unsere Vision – für die Haltung von Milchkühen aus. Doch wie ist der Status Quo? 

Wie die meisten Milchkühe derzeit leben 

Aktuell lebt der Großteil der Milchkühe ganzjährig im Stall, viele kommen nicht ein einziges Mal während ihres Lebens in den Genuss der Weide. Stattdessen werden sie meist auf rutschigen Betonspaltenböden gehalten, haben nur wenig Platz und häufig einen harten, zu kleinen Liegebereich. Dabei ruhen Kühe mehr als zwölf Stunden am Tag und bräuchten eigentlich eine weiche, gelenkschonende Liegefläche. Auch dürfen Kühe ihre Kälber nicht selbst aufziehen, diese werden üblicherweise unmittelbar nach der Geburt von der Kuh getrennt. Die meisten Rinder werden chirurgisch an die begrenzte Haltungsumwelt angepasst: Weil der Platz fehlt, werden 95 Prozent aller Rinder in den ersten Lebenswochen mit einem Glüheisen die Hornanlagen verödet – unter erheblichen Schmerzen. Heute leiden die meisten Kühe außerdem unter einer fehlgeleiteten, einseitigen Leistungszucht. Turbokühe – ein Bildnis für die überzüchteten Kühe – geben zwar in kurzer Zeit enorme Mengen Milch, aber dafür wird die Gesundheit der Tiere massiv in Mitleidenschaft gezogen. Eine deutsche Holstein-Friesian Kuh gibt heute beispielsweise mehr als 12.000 Liter Milch im Jahr – das ist rund doppelt so viel wie noch vor zwanzig Jahren. Die Folge sind multifaktorielle Produktionskrankheiten, die von entzündeten Eutern über Fruchtbarkeitsstörungen und Organversagen bis zu Lahmheiten reichen. Die Kühe sind in kurzer Zeit völlig ausgemergelt und landen bereits nach wenigen Jahren beim Schlachter. Dabei bieten moderne Züchtungstechnologien bereits ein großes Potenzial für das Wohlergehen von Kühen: So könnte gezielt auf Gesundheit, Robustheit gegenüber Temperatur- oder Fütterungsveränderungen, Langlebigkeit und das Gleichgewicht aus Fleisch- und Milchansatz gezüchtet werden.  

Auch beim Thema Transport und Schlachtung ist noch viel zu tun, denn viele Kühe und vor allem ihre Kälber leiden unter miserablen Transportbedingungen. So werden die überschüssigen Kälber der Milchviehhaltung, die zur Mast bestimmt sind, häufig quer durch Europa in industrielle Mastanlagen transportiert. Und auch den Kühen steht am Ende ihres Lebens oft ein leidvoller Transport zu einem der großen zentralisierten Schlachtbetriebe bevor.  

Die Haltung von Milchkühen muss also grundlegend verbessert werden und auch lange Transportwege könnten strukturell obsolet gemacht werden, indem regionale Milch-, Mast- und Schlachtstrukturen in ganzheitlichen Kreisläufen gedacht werden. Zudem muss die vorhandene Technologie endlich zum Wohle der Tiere genutzt werden, anstatt sie für immer extremere Züchtungen zu nutzen. 

Der Weg zum Ziel: Was es braucht, um diese Vision zur Realität werden zu lassen – und wo PROVIEH bereits dran ist 

Hohe gesetzliche Mindeststandards 

Der Tierschutz in Deutschland wurde 2002 als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen, mit dem Bestreben, Tiere gemäß ihren artgemäßen Bedürfnissen und Verhaltensweisen zu halten und jegliche Schäden und Leiden zu vermeiden – so weit, so gut. Doch das Tierschutzgesetz kann praktisch nur über die sogenannte Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) angewendet und vollstreckt werden, deren Richtlinien die jeweiligen Mindestanforderungen zur Haltung bestimmter “Nutz”tiere vorgeben. Hier gibt es das große Problem, dass für einige Tierarten noch gar keine Vorgaben existieren: Für Milchkühe fehlen diese Anforderungen zum Beispiel noch komplett. Für Kälber bestehen zwar spezifische gesetzliche Regelungen, diese sind jedoch völlig unzureichend. Erstens müssen also für Milchkühe – sowie für alle anderen noch fehlenden „Nutz“tierarten – spezifische Haltungsanforderungen bestimmt werden. Zweitens müssen diese Mindestanforderungen so angepasst werden, dass sie den Standards des Tierschutzgesetzes standhalten: Tiere müssen artgemäß gehalten, gefüttert und gepflegt werden. Schmerzen, Leiden und Schäden müssen vermieden werden. Dies ist bei den Kälbern momentan noch nicht der Fall – zum Beispiel dürfen heute Kälber bis zum dritten Lebensmonat einzeln und Rinder, die älter als sechs Monate sind, angebunden gehalten werden – mit entsprechender Einschränkung des Bewegungs- und Sozialverhaltens. Diese Vorgabe widerspricht den arteigenen Bedürfnissen und Verhaltensweisen der Tiere. Durch die schlechten Haltungsbedingungen leidet heute jede zweite Kuh an einer schwerwiegenden Lahmheit und dadurch an Schmerzen. Und obwohl Amputationen grundsätzlich durch das Tierschutzgesetz verboten sind, dürfen Kälbern in den ersten sechs Lebenswochen ohne eine Lokalbetäubung die Hornanlagen ausgebrannt werden. Eine Ergänzung der fehlenden erforderlichen Bestimmungen in der TierSchNutztV ist essentiell, um Kühe und ihre Kälber endlich wirksam zu schützen. Außerdem müssen die Hochleistungszucht und die heutigen Transport- und Schlachtbestimmungen für Rinder gesetzlich streng reguliert werden, um das daraus entstehende Leid zu beenden. PROVIEH kämpft seit Jahren dafür, die gesetzlichen Lücken zu schließen und das Tierschutzgesetz und die Verordnungen auf ein hinreichend hohes Niveau anzuheben. Bedeutsame Novellierungen wie das Kastenstandurteil, das Verbot des Kükentötens sowie des betäubungslosen Kastrierens von Schweinen wurden in den letzten Jahren erstritten. Der Erfolg für die Milchkühe war 2021 zum Greifen nahe, als die Bundesregierung endlich ankündigte, die Haltung von Milchkühen in die Verordnung aufzunehmen. Doch wie viele andere Ankündigungen kam die Bundesregierung unter Julia Klöckners Aufsicht auch diesem Versprechen nicht nach. PROVIEH lässt aber nicht locker und wird mit großer Vehemenz weiterkämpfen, damit Milchkühe in die TierSchNutztV aufgenommen werden. 

Politische Förderung des Umbaus der Tierhaltung  

Bei der Milchviehhaltung in Deutschland gibt es aktuell viele Mängel: Die Haltung ist völlig unzureichend, die aus der Hochleistungszucht resultierenden „Produktionskrankheiten“ und überschüssigen Kälber werden gern aus der Diskussion ausgeklammert und ein Tierwohl-Monitoring findet nicht statt. Es fehlt ein staatlich geförderter Umbau der Milchviehhaltung, auf den PROVIEH schon seit geraumer Zeit drängt. Nur so kann langfristig das millionenfache Leid von Milchkühen vermieden werden. PROVIEH konnte in den vergangenen zwei Jahren im Rahmen des Borchert-Prozesses in der Arbeitsgruppe Rind an solch einem spezifischen Umbau der Milchviehhaltung mitwirken. Neben Platzanspruch, Bodenbeschaffenheit und Liegefläche wurden hier zum Beispiel auch die Weidehaltung beziehungsweise der Auslauf, die Zucht und das Tierwohl-Monitoring diskutiert. PROVIEH wird auch weiter mit voller Kraft auf ein höheres Niveau zum politischen Umbau der Milchkuhhaltung hinwirken. 

Politische Allianzen und tatkräftige Netzwerke 

Ein Kälbchen trinkt am Euter seiner Mutter
Foto: © PROVIEH

Das Drängen und Fordern vielfältiger Organisationen wird durch Allianzen und Netzwerke, in denen auch PROVIEH mitwirkt, in seiner politischen Bedeutung ungemein verstärkt. So arbeiten und vernetzen wir uns auf unterschiedlichen Ebenen – von runden Tischen und Gremien auf Bundesländer- und Bundesebene wie zum Beispiel die AG Rind, über Bündnisse wie “Wir-Haben-Es-Satt!”, spezifische Netzwerke wie die “Interessengemeinschaft Kuh und Kalb” bis zum “PRO Weideland Kuratorium für Förderung der Weidehaltung”. Auch spezifische Netzwerke aus reinen Tierschutz-Vertreter:innen wie das “Bündnis für Tierschutzpolitik”, “Kräfte bündeln” oder das von PROVIEH initiierte” Juristische Netzwerk für Tierschutz” verleiht unseren politischen Forderungen für mehr Tierschutz ein stärkeres Gewicht. 

Gesetzlich verpflichtende Haltungskennzeichnung für alle tierischen Lebensmittel 

Über 80 Prozent der befragten Verbraucher:innen in Deutschland wünschen sich einen Umbau der Tierhaltung und sind bereit, für mehr Tierwohl höhere Preise für Lebensmittel zu bezahlen. Der Handel hat mit seinem Haltungsform-Kennzeichen zwar eine Grundlage geschaffen, diese bezieht sich jedoch zum einen nur auf frisches Fleisch und nicht auf Milch und ist zum anderen aus vielerlei Hinsicht völlig unzureichend. Die Verbraucher:innen müssen in ihrem Ziel, sich für tierische Produkte aus artgemäßen Haltungsformen zu entscheiden und damit höheres Tierwohl zu honorieren, endlich mit einer transparenten gesetzlich verpflichtenden Haltungskennzeichnung für alle tierischen Lebensmittel unterstützt werden. PROVIEH fordert eine solche Haltungskennzeichnung schon seit Jahren – aktuell mit unserer Kampagne „Wir zeigen Haltung!“ gemeinsam mit Naturland (siehe Seite 36 PROVIEH Magazin). 

Millionen Konsumentscheidungen und eine aktive Zivilgesellschaft  

Für den Umbau der Milchviehhaltung wird auch die Unterstützung jeder und jedes Einzelnen benötigt – in ihrem und seinem politischen Engagement wie mit ihrem und seinem täglichen Stimmzettel über den Einkaufswagen. Es braucht eine laute Zivilgesellschaft, um Misstände wie die unsäglichen Tiertransporte, das Leiden von Hochleistungsrindern und das Problem der „Wegwerfkälber“ zu beenden. Gleichzeitig verändern auch Konsumentscheidungen von vielen Menschen das Gesicht der Milchwirtschaft, wenn die Weidehaltung, das Horntragen von Rindern oder die kuhgebundene Kälberaufzucht im Handel Unterstützung finden. PROVIEH unterstützt mit Bildungsarbeit und Verbraucherinformationen Menschen dabei, sich mit ihrem Konsum für bessere Bedingungen in der “Nutz”tierhaltung einzusetzen. 
 
PROVIEH gibt den Tieren in der Landwirtschaft eine Stimme und tritt gemeinsam mit allen Mitgliedern weiterhin mit voller Kraft für mehr Tierschutz ein. Wir freuen uns dabei über alle Unterstützer:innen, die dabei helfen, sei es durch einen finanziellen Beitrag oder  die aktive Beteiligung an PROVIEH-Aktionen wie Demonstrationen, Kampagnen oder Info-Ständen.  

Anne Hamester

Anne Hamester 

Empfehlungen Milchprodukte 

Bio-Label, PRO Weideland oder die Premiumstufe des Tierschutzlabels tragen zu einem sehr hohen Tierwohl bei. Hier sind Kühe ganzjährig draußen, haben mehr Platz im Stall und unterliegen regelmäßigen Kontrollen.

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