Tomtes Hof

Begegnungen zwischen Mensch und Tier

Dr. Juliane Marliani ist Diplom-Biologin mit den Schwerpunkten Verhaltensbiologie, Ökologie und Neurobiologie, Tiertrainerin, Ausbilderin für den Beruf TierpflegerIn, Klassische Homöopathin, Fachberaterin und -referentin im Bereich Tiergestützte Intervention und artgemäße Nutztierhaltung, und Gutachterin für Begegnungshöfe. 2004 gründete sie Tomtes Hof e.V., einen Begegnungshof, den sie auch heute noch leitet.  

Liebe Frau Marliani, TOMTEs HOF bezeichnet sich als Begegnungshof. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?   

Der Tomtes Hof
© Dr. Juliane Marliani

Auf TOMTEs HOF steht die achtsame Begegnung von Mensch, Tier und Natur im weiteren Sinne im Mittelpunkt. Zum einen vor einem förderpädagogischen Hintergrund – hier arbeiten wir mit dem Sozial- und Jugendamt und mit Einrichtungen für Menschen mit Förderbedarf zusammen – zum anderen vor einem naturpädagogischen Hintergrund. Ziel ist es über die achtsame Begegnung mit Tieren und der Natur die Verantwortlichkeit gegenüber Tieren und deren Lebensräumen und somit ein grundlegendes ökologisches Bewusstsein und Naturverständnis zu fördern. Darüber hinaus geben wir in der ruhigen, aber lebendigen Hof-Atmosphäre Hilfestellung zur Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung und damit Hilfe zu einem gelingenden Leben. Die Besonderheit liegt dabei in dem ganzheitlichen Ansatz, in dessen Mittelpunkt der Hof als Mensch-Tier-Begegnungsort steht. Hier darf man eintauchen, entspannen und staunen, Natur unmittelbar erfahren, pflegen, Teil sein und genießen. Seit 2009 haben wir die Zertifizierung als Begegnungshof durch die Stiftung Bündnis Mensch & Tier.  

Infobox:  Stiftung Bündnis Mensch & Tier 

Das Netzwerk Begegnungshöfe wurde 2008 von der Stiftung Bündnis Mensch & Tierins Leben gerufen, um geeignete Räume zu bieten, wo Mensch und Tier sich auf mensch- und tiergerechte Weise begegnen können. Die qualifizierten Begegnungshöfe der Stiftung sind Vorbilder für eine artgemäße Tierhaltung und einen tiergerechten Einsatz von heimischen Heim- und Nutztieren. www.buendnis-mensch-und-tier.de 

Welche Tiere halten Sie auf TOMTEs HOF?  

Der Hof mit seinen etwa 4,5 Hektar nachhaltig bewirtschafteten Weideland beherbergt Wollschweine, Schafe, Ziegen, Esel, Meerschweinchen, Pferde, Kaninchen, Hühner, Gänse, Katzen und Hunde. Sie leben so frei wie möglich, in arteigenen Gruppierungen, artgemäß untergebracht und versorgt, artgerecht betreut und achtsam zum Einsatz gebracht. Diese Haltung ist nicht einfach, da auf der einen Seite im Rahmen der immer stärker werdenden industriellen Landwirtschaft als auch im Rahmen von sogenannter Liebhaberei-Haltung ein großes Spannungsfeld besteht, in dem sich zunehmend Haltungsformen „etabliert“ haben, die mit den Bedürfnissen der Tiere und ihrer arteigenen Lebensweise nicht mehr viel zu tun haben. Doch genau dies ist ja das Thema auf TOMTEs HOF: jedem zu ermöglichen nach seinen Bedürfnissen, Neigungen und Vorlieben so glücklich wie möglich zu leben.  

Welches Angebot haben Sie auf TOMTEs HOF? Was macht ihn besonders?  

Mein Kernanliegen ist es, Menschen über die Begegnung und Auseinandersetzung mit Nutztieren erlebbar zu machen, wie sich Zusammenleben und ein lebendiges Miteinander gestalten lässt.  

Unsere Angebote lassen sich in drei Bereiche gliedern. Beim „Natur(er)leben“ geht es um Umweltbildung und Naturerlebnisangebote wie „MitMachFütterungen“, Kindergeburtstage, Jahresgruppen oder Ferienprogramme. Beim „NatUrvertrauen“ handelt es sich um Angebote mit pädagogischer Zielsetzung. Sie richten sich an Gruppen sozialer Einrichtungen und an Einzelpersonen aller Altersgruppen. Diese intensive Betreuung wird von unserem Pädagogik-Team durchgeführt und findet in einem professionellen, geschützten Rahmen statt. Beim „Naturumgang“ bieten wir Beratung und Fortbildungen zum Thema artgemäße Tierhaltung, Ausbildung und Einsatz von Nutztieren im privaten, pädagogischen und therapeutischen Arbeitsfeld an. 

Ein glückliches Schwein im Heu
© Dr. Juliane Marliani

All diesen Angeboten liegen hohe Qualitätsstandards zugrunde, die sich in der Haltung unserer Tiere, in der fachgerechten und artgemäßen Vorbereitung und Begleitung des Tierkontakts und der Naturerlebnisaktionen wiederfinden. Eine wesentliche Rolle spielt dabei nicht nur unser Fachwissen, sondern gerade auch unsere Haltung, mit der wir unseren Besuchern, aber eben auch unseren Tieren begegnen. Sie ist weder wertend noch grenzüberschreitend, sondern achtsam und respektvoll. Das bedeutet für die Angebote konkret, dass wir zum Beispiel unsere Kaninchen nicht auf den Schoß nehmen, sondern dass die Begegnung von Kaninchen und Besuchern so organisiert ist, dass sie auf Augenhöhe und freiwillig stattfindet. So können unsere Besucher schon allein bei der Beobachtung der Tiere, aber vor allem im direkten, aber freien Kontakt mit den Tieren, viele Aspekte des zwischentierlichen und -menschlichen Miteinanders betrachten und für sich klären: Wie gehen Tiere/wir miteinander um? Wie setzen Tiere/wir Grenzen? Wie äußern Tiere ihre Bedürfnisse, wie mache ich es? Und – für mich ganz wichtig – haben alle die gleichen Bedürfnisse? Wie sieht es mit individuellen Bedürfnissen, Macken, Vorlieben, Abneigungen und Schwierigkeiten aus? Wie gehen Herden, Tierfamilien, Menschenfamilien etc. damit um?  

Was möchten Sie den Teilnehmenden mitgeben?   

Wir möchten unbedingt vermitteln, wie eine gute, artgemäße Haltung relativ einfach gewährleistet werden kann. Dabei geht es uns nicht darum, „Rezepte“ auszuteilen, sondern viel mehr ein Verständnis für die Lebensweise einer Tierart zu vermitteln, indem wir über die Lebensweise der jeweiligen „wilden“ Vorfahren eingehend berichten und darüber, was diese mit unserer Nutztierart zu tun hat: Warum der Esel nicht stur ist, sondern sich für ein „Steppen-Wüstentier“ clever verhält, wenn er nicht wie das Pferd bei jeder unübersichtlichen Situation durchgeht und wegläuft, sondern sich einen Überblick verschafft und dann entscheidet. Oder warum es für das Schaf geradezu überlebensnotwendig ist, in der Herde zu gebären, die großartigen Schutz und Gemeinschaft bietet. Schafe haben ein hervorragendes System entwickelt, um in der Schafherde mit vielen Lämmern und Müttern einen guten individuellen Kontakt herzustellen, die Gruppenmitglieder einzubeziehen etc.. Es ist wundervoll zu erleben, wie die Herde Geburten „gestaltet“, wenn man sie machen lässt. Die weiblichen Tiere (Auen) von der Herde zu trennen entspricht menschlichen Bedürfnissen, ist aber nicht schafgemäß. Und ja, natürlich kann es Probleme geben in der Herde, und die Aussicht, dass Lämmer unter die Klauen kommen, ist alles andere als wünschenswert. Aber das Problem liegt dann meist bei der Haltung: zum Beispiel einer zu großen Gruppengröße, in der das natürliche Sozialsystem des Schafes nicht greifen kann, Stress um Ressourcen, Konkurrenz, Enge etc. Unsere Vorstellungen von Tierhaltung sind oft weit von der natürlichen Lebensweise der Tiere entfernt, weil wir die Kompromisse, die wir im Zuge einer wirtschaftlichen oder einfacheren Haltung gemacht haben – wie zum Beispiel die Einzelboxenhaltung bei Pferden oder die Haltung von riesigen Tiergruppen bei zum Beispiel Schweinen auf nacktem Betonboden, gar nicht mehr hinterfragen.  

Mir ist es ein sehr großes Anliegen, gerade Menschen, die einen anderen Kontakt mit Tieren – sei es privat oder im Bereich pädagogischer oder therapeutischer Arbeit – suchen, eine Haltungsform zu vermitteln, die sich wirklich mit den Belangen der Tiere auseinandersetzt. 

Welche Erfahrungen machen Sie in Ihren Fortbildungen?   

Drei Kinder kuscheln mit Schafen
© Dr. Juliane Marliani

Die Erfahrungen, die ich mache, sind fast ausnahmslos sehr positiv was die Ergebnisse angeht, aber auch was die Motivation der Menschen angeht, sich wirklich für eine gute Haltung ihrer Tiere einzusetzen. Allerdings bin ich auch immer wieder erstaunt, dass der Zugang zur Tierhaltung weniger darin gesucht wird, wie Tiere leben „wollen“ als darüber, wie wir als Menschen es uns vorstellen würden. Außerdem wird den Tieren so wenig zugetraut. Die Frage nach deren Intelligenz beschäftigt viele Menschen, dass die Tiere aber –  natürlich – in der Lage sind ihr Leben eigenständig zu gestalten mit ihren arteigenen Sozialsystemen, Anpassungsstrategien und Überlebenskünsten, ist den meisten Teilnehmenden gar nicht bewusst. Aber es geht ja nicht darum, unsere menschlichen Bedürfnisse in die Haltung einzubringen, sondern zu schauen, was braucht mein Gegenüber und mit welcher Strategie arbeitet er oder sie in bestimmten Situationen. Die Ziege möchte Schatten bei Hitze, das Schwein eine Suhle. Das lässt sich noch gut nachvollziehen, man muss nur wissen, dass diese beiden Tiere unterschiedliche Strategien entwickelt haben. Dass das Pferd bei Sturm das freie Feld sucht oder das Kaninchen sich lieber im Freien tummelt, als in einer komfortablen Einzelbox im Zimmer zu sitzen, ist für uns Menschen oft nicht nachvollziehbar, aber durchaus sehr pferdisch oder kaninchenisch. Wenn wir einmal erarbeitet haben, was es bedeutet sich an einen Lebensraum anzupassen, mit Ressourcen umzugehen, ein stressfreies und effektives Zusammenleben (Sozialsystem) zu etablieren, dann fällt bei den Teilnehmenden der Groschen – und das ist der schönste Moment für mich. Sie haben gesehen, dass hinter dem Verhalten der Tiere sehr viel Sinn und zumindest eine Ursache steckt. An dieser Stelle wandelt sich die Vorstellung der Tierhaltung weg von dem Wunsch nach einer „Anleitung“ hin zum Wunsch nach Verstehen und Begreifen. Für mich zeigen diese Fortbildungen, wie wichtig es ist zu erklären, was artgemäß eigentlich bedeutet: nämlich nicht, dass ein Schwein auf Spaltenboden stehend per Knopfdruck eine Dusche anstellen kann, sondern dass sich ein Schwein im Matsch suhlt – und das genüsslich, um seine Hautfunktion und seinen Temperaturhaushalt zu regeln.   

Vielen Dank für das Gespräch. 

Das Interview führte Svenja Taube  

www.tomtes-hof.de 

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