Gutachten zur Reform des Tierschutzrechts

 “Es braucht ein neues Tierschutzgesetz – Staatsziel Tierschutz endlich wirksam umsetzen” 

Mit diesen Worten leitete Dr. Barbara Felde die Veranstaltung “Vorstellung der Gutachten zur Reform des Tierschutzrechts” ein. Führende Fachjurist:innen für Tierschutzrecht haben zwei umfangreiche Rechtsgutachten erstellt, inwiefern die Rechtsprechung ganz konkret verändert, erweitert oder ausgedünnt werden muss, um Tiere wirksamer zu schützen. Beide Gutachten wurden im Rahmen dieser digitalen Veranstaltung vorgestellt und diskutiert. Die von der Bundesregierung angekündigte Novellierung des Tierschutzgesetzes ist damit fachlich ergründet und sollte schnellstmöglich auf Grundlage der Gutachten erfolgen. 

Tierschutzgesetz heute ein Tiernutzgesetz? 

Das derzeitige Tierschutzgesetz habe seinen Namen nicht verdient, vielmehr sei es derzeit ein Tiernutzgesetz, das die Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche Nutzung von Tieren setze. Angefangen von den fehlenden, wie unzureichenden Verordnungen, über die exzessiven Ausnahmeregelungen im Tierschutzgesetz bis zur Tierquälerei als Kavalierdelikt sind die unzähligen Beispiele für diese These ernüchternd. Tiere und im Besonderen sogenannte Nutztiere sind derzeit rechtlich unzureichend oder gar nicht geschützt. Folgende Zustände verdeutlichen das Ausmaß. 

Das Tierschutzgesetz (TSchG) schreibt mit §2 vor, dass Tiere entsprechend ihrem artgemäßen Verhalten unterzubringen sind. Schweine leben aber üblicherweise in einer eintönigen Bucht auf Vollspaltenboden, in der sie auf derselben Fläche koten, fressen und liegen müssen, keinerlei adäquate Beschäftigung haben, überwiegend strukturloses Futter bekommen und weder wühlen noch suhlen können. Rinder dürfen dauerhaft angebunden gehalten und Enten als Wassertiere ohne Zugang zu freien Wasserflächen gehalten werden. 

Amputationen sind bei Wirbeltieren gemäß §6 TSchG verboten. In den folgenden Abschnitten werden aber für nahezu jede Tierart Ausnahmeregelungen formuliert: Rinder werden daher in der Praxis die Hornanlagen entfernt, Schweinen der Ringelschwanz abgeschnitten und Puten der Schnabel gekürzt. All das wohlgemerkt, um sie an die begrenzte Haltung anzupassen. 

Verboten sind zumindest prinzipiell ebenso Transporte von vulnerablen oder geschwächten Tieren. In der Praxis werden jedoch noch nicht von der Milch entwöhnte junge Kälber bis zu 19 Stunden transportiert, obwohl sie in dieser Zeit weder mit Wasser noch mit nährender Milch versorgt werden können. Auch tragende Rinder dürfen unzählige Stunden transportiert werden. Schier unglaublich sind ebenso die noch immer zulässigen Tiertransporte in Hochrisikostaaten, in denen den Tieren mit hoher Wahrscheinlichkeit scheußliches Leid widerfährt.  

Entwurf zur Reform des Tierschutzrechts 

Seit Jahren ist die Politik aufgefordert, das Tierschutzgesetz grundsätzlich zu novellieren. Sowohl der Gesellschaft als auch Fachexpert:innen ist klar, dass die Rechtsprechung inakzeptabel ist. Fachjurist:innen belegen unermüdlich die Lücken im derzeitigen Recht und zeigen die notwendigen Änderungen auf. Im Auftrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen haben sie nun ihre Fachexpertise zusammengeführt und eine umfassende, wie detaillierte Grundlage für eine Reform des Tierschutzgesetzes erstellt. Es besteht aus zwei Teilen: Teil eins führt die Eingliederung von Tierquälerei ins Strafgesetzbuch aus. Teil zwei ist ein Entwurf für eine Novellierung des bestehenden Tierschutzgesetzes.  

Der Hauptautor des ersten Gutachtens zum Strafgesetz ist Prof. Jens Bülte. Er machte in seiner Vorstellung deutlich, dass es sowohl für die Gesellschaft als auch für die Rechtsprechung unstrittig sei, dass Tierquälerei eine Straftat sei, weil es zu den schlimmsten Vergehen überhaupt gehört. Die heutige Bewertung als Ordnungswidrigkeit sei absolut inakzeptabel. Besonders ging er auf die Bewertung von Tierquälerei in landwirtschaftlichen Unternehmen als Wirtschaftskriminalität ein. Sie erfülle den Bestand, weil sie im Wirtschaftsunternehmen, organisiert und unter Toleranz von Amtsträgern wie zum Beispiel Amtsveterinär:innen, erfolge. Die Anpassung der modernen Wirtschaftsgesellschaft dürfe auch vor dem Tierschutzstrafrecht nicht halt machen: Wirtschaftlich organisierte Tierquälerei bedarf ein sensibles Strafmaß. 

Dr. Barbara Felde gab einen Überblick über das zweite, umfangreichere Gutachten, wie das aktuelle Tierschutzgesetz geändert werden müsste, um Tiere effektiver zu schützen. Ein strukturelles Problem sei heute, dass gesetzliche Bestimmungen durch Verordnungsermächtigungen eher ausgehebelt werden als sie zu konkretisieren. Es bedarf daher einer „exzessiven Ausdünnung“ bestehender Ausnahmeregelungen. Auch fehlen Verordnungen für viele Gesetze Jahrzehnte nach ihrer Einführung. Aufgrund dessen gäbe es noch immer keine spezifischen Haltungsvorschriften für Rinder und Puten. Damit gesetzliche Bestimmungen in der Praxis Relevanz fänden, sei eine Frist zur Einführung von Verordnungen unerlässlich. Sodann wurden die kritischsten Paragrafen für den Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes vorgestellt. Zunächst seien Verbote tierschädigender Praktiken und Haltungsformen notwendig. So würde dem Abschneiden von Schwänzen, Schnäbeln und Hörnern genauso ein Ende gesetzt wie tierquälerischen Haltungen, zum Beispiel von Pelztieren sowie Rindern in der Anbindung. Konkrete Gesetzesvorlagen wurden außerdem für die Videoüberwachung in Schlachthöfen und für das Verbot von Lebendtiertransporten in Drittstaaten geliefert. Für letztere ist ebenso eine kritische Umgehungsregelung vorgesehen, damit Tiertransporte in Drittstaaten nicht über ein anderes Umgehungsland wie zum Beispiel Ungarn stattfinden. 

Die Grundlage für die Novellierung des Tierschutzgesetzes sowie zur angemessenen Integration von Tierquälerei in das Strafgesetzbuch könnte detaillierter und fachlich fundierter nicht sein. PROVIEH fordert die Bundesregierung auf, das Staatsziel Tierschutz zum 20. Jubiläum endlich wirksam umzusetzen und Tiere rechtlich endlich angemessen zu schützen.  

Anne Hamester 

Beide Gutachten wurden im NOMOS-Verlag als Band der Reihe „Das Recht der Tiere und der Landwirtschaft“ als Buch sowie in einer elektronischen (kostenlosen) Open Access-Version veröffentlicht. 

Die Open Access-Version des Bandes „Reform des Tierschutzrechts“ kann unter folgendem Link abgerufen werden: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748928478-1/titelei-inhaltsverzeichnis 

28.02.2022 

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