Gentechnik

Optimierungswahn bei Schweinen, Rindern und Co.

Jüngste Forschungsvorhaben in der Nutztierzucht greifen in die Genetik der Tiere ein, um sie für das Wirtschaftssystem Tierhaltung zu optimieren und stellen dies als Tierwohlverbesserung dar. Diese Ansätze sind symptomatisch für den heutigen Blick auf Tiere in der Landwirtschaft: Nicht die Haltungsbedingungen werden den Bedürfnissen und arteigenen Anlagen angeglichen, sondern die Tiere sollen den aktuellen Haltungsformen angepasst werden – und das mit allen Mitteln. Zwei Beispiele sollen die Brisanz der Verfahren aus Sicht des Tierschutzes und der Tierethik verdeutlichen.    

Hornlose Milchkühe 

Das Friedrich-Löffler-Institut (FLI), Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, veröffentlichte im Sommer letzten Jahres ein Forschungsvorhaben zur gezielten Züchtung genetisch hornloser Rinder. Um das Tierwohl zu verbessern, sei es von Vorteil, wenn Rinder keine Hornanlagen besäßen, weil so das häufig betäubungslose und stressvolle Enthornen vermieden werden könne, so das Bundesinstitut. Genetisch hornlose Milchrassen wurden auch schon durch die natürliche Mutation hervorgebracht und stehen schon heute züchterisch zur Verfügung. Bei diesem Forschungsvorhaben sollte jedoch einer besonders leistungsstarken Milchrasse mit dem gentechnischen Verfahren gezielt durch die gezielte Modifikation der DNA das Horn genommen werden.

Bei diesem molekularbiologischen Verfahren des Genom-Editings werden bestimmte DNA-Abschnitte modifiziert und Gene gezielt an- oder ausgeschaltet, eingefügt oder entfernt. Für das Ziel eines genetisch hornlosen Rindes wurde die DNA der Milchrasse Holstein-Friesian mit der DNA der natürlicherweise genetisch hornlosen Fleischrasse Angus gezielt vereint. Dafür wurde mit der „Genschere“ Crispr/Cas12a die Genomsequenz des Hornes beim Holsteinrind mit jener hornlosen Sequenz des Angusrindes ausgetauscht. Im Labor wurden die manipulierten Zellen in Eizellen eingesetzt und 70 Klone erzeugt. Daraus entwickelten sich neun Embryonen, die Leihmutterkühen eingepflanzt wurden. Drei der Embryonen starben direkt in der Gebärmutter, bei vier Kühen kam es, während sie trächtig waren, zu erheblichen Komplikationen, die in Fehlgeburten endeten. Ein weiteres Tier töteten die Forscher zu Versuchszwecken vor der Geburt, um es zu sezieren. Nur ein Kalb kam lebend zur Welt. Dieses musste jedoch aufgrund eines deutlich erhöhten Körpergewichtes per Kaiserschnitt geholt werden und starb noch am selben Tag an mehrfachen Organmissbildungen. Das Herz, die Leber, die Lungen, das Zwerchfell und der Schädel zeigten Missbildungen und führten zeitnah zum akuten Herz- und Kreislaufversagen.   

Männlich-weibliche Schweine 

Auch ein zweites Forschungsvorhaben des FLI zielt darauf ab, durch Genom-Editing für die Haltungs- beziehungsweise Verarbeitungsziele passgenaue Tiere zu kreieren. Hier wurden mit dem gleichen Gentechnikverfahren genetisch männliche Schweine mit weiblichen Geschlechtsorganen gezüchtet – um den Eingriff des Kastrierens zu umgehen. Das Kastrieren der Schweine ist durch die potenzielle Entwicklung des Ebergeruches begründet. Das Fleisch von etwa fünf Prozent der Schweine entwickelt nach der Geschlechtsreife der Tiere den sogenannten „Ebergeruch“. Wird es erhitzt, stinkt es stark urin- oder auch fäkalartig.  Üblicherweise werden die Schweine aus diesem Grund kastriert. PROVIEH weist jedoch schon seit Langem darauf hin, dass auch die Testverfahren für das Testen des Fleisches verbessert werden könnten und zudem mit der Ebermast und der Immunokastration tierschutzkonformere Alternativen zur Kastration zur Verfügung stehen. Stattdessen wird in der Forschung des FLI auf die Möglichkeit der gezielten Genveränderung gesetzt, um mit der Zwitter-Generierung eine weitere, äußerst fragwürdige Lösung für das Problem des Fleischgeruches zu schaffen. Bei dem Versuch wurde ebenfalls mittels des gentechnischen Verfahrens CRISPR/Cas ein bestimmter Teil des Y-Chromosoms ausgeschaltet. Die Tiere haben dann zwar weiter ein X- und ein Y-Chromosom, also einen männlichen Chromosomensatz – weisen aber weibliche Geschlechtsmerkmale auf. Auf Grund der fehlenden Hoden werden auch keine Geschlechtshormone gebildet und somit wird das „Risiko“ des stinkenden Fleisches eliminiert.  

Das Problem der unabsehbaren Risiken und Wechselwirkungen 

Solche Tierversuche und gentechnischen Anpassungen sind in jeder Hinsicht äußerst problematisch. Die Tiere sind durch die Versuche erheblichen Qualen, Schmerzen und Leiden ausgesetzt. Für die Erzeugung einzelner gentechnisch veränderter Säugetiere müssen hohe Tierverluste in Kauf genommen werden, da viele Tiere aufgrund von Gen-Defekten entweder nicht lebend geboren werden oder nach der Geburt getötet werden müssen, weil sie krank sind oder andere Veränderungen eintreten als von dem gentechnischen Eingriff erwartet wurden. Darüber hinaus entstehen durch solche neuartigen Verfahren nicht absehbare und kalkulierbare Wechselwirkungen. Denn das Genom-Editing ist häufig nicht so präzise wie erhofft und belastet die Gesundheit der Tiere entgegen den Versprechungen der Wissenschaft erheblich, weil multiple andere Organe und physiologische Vorgänge betroffen sind. 

Ethische und rechtliche Basis 

Forschungen dieser Art werfen eine ganze Reihe von ethischen, juristischen und gesellschaftlichen Fragen auf – Fragen, die immer diskutiert werden müssen, wenn die technischen Möglichkeiten die Grenzen des ethisch Erlaubten und gesellschaftlich Gewollten zu überschreiten drohen. Das betrifft Fragen nach der Legitimität von Tierversuchen im Allgemeinen und von Tierversuchen unter der bloßen Zielsetzung der Wirtschaftlichkeit und Prozessoptimierung im Besonderen. Das betrifft auch Fragen nach dem Eigenwert des Tieres und ob seine biologische und genetische Beschaffenheit Grundlage jeglicher Modifikation sein kann oder nicht vielmehr eine normative Grenze für unser instrumentelles Handeln darstellt. Und es sind nicht zuletzt einfache fachwissenschaftliche Fragen wie die, ob Hörner, Hoden und andere „unerwünschte“ Merkmale nicht viel weitreichendere biologische Funktionen erfüllen und bei deren Ausschaltung dem Tier unnötig Leid zugefügt wird, auch wenn diese Ausschaltung an sich erst einmal schmerzlos zu sein scheint. Das Horn erfüllt beispielsweise viele Funktionen, weshalb dem Rind mit der genetischen Hornlosigkeit wichtige Bestandteile seiner selbst genommen würden. Es wurde nachgewiesen, dass das Horn für das Sozialverhalten sowie für die Thermoregulation eine wichtige Rolle spielt. Außerdem wird das Horn es mit der Verdauung und dem Stoffwechsel in Verbindung gebracht, indem die Nasennebenhöhlen bis in das Horn hineinreichen und das Horn als Sinnesorgan für Verdauungsprozesse gilt.

All diesen Fragen muss sich auch ein Forschungsinstitut wie das FLI stellen. Es sind zudem Fragen für Ethikräte und Tierversuchskommissionen sowie für juristische Fachleute, die die Vereinbarkeit mit dem Tierschutzgesetz klären müssen.   

Das Tierschutzgesetz schreibt vor, dass Tieren ohne einen vernünftigen Grund kein Leiden oder Schmerzen zugefügt werden dürfen. Doch wie so häufig bilden Unterpunkte des Gesetzes den Rahmen für Ausnahmeregelungen und so wird ein „vernünftiger Grund“ im Hinblick auf Tierversuche zunächst als „Vorbeugung, Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder körperlichen Beschwerden bei Menschen oder Tieren“, darüber hinaus mit dem Ziel der „Erkennung oder Beeinflussung physiologischer Zustände oder Funktionen bei Menschen oder Tieren“ sowie mit der „Förderung des Wohlergehens von Tieren oder Verbesserung der Haltungsbedingungen von landwirtschaftlichen Nutztieren“ beschrieben. Zynischerweise wurden beide Forschungsvorhaben als Tierwohlverbesserung präsentiert, weil Amputationen wie Kastrieren und das Enthornen durch diese Verfahren erübrigt werden sollten.     

Tierversuchsvorhaben dieser Art sollen auf Grundlage des Tierschutzgesetzes von der so genannten Tierversuchskommission bewertet werden. Doch dieses bedeutsame Gremium ist zum einen unzureichend für die Beantwortung ethischer Fachfragen ausgebildet und zum anderen entgegen der gesetzlichen Anforderung nicht paritätisch besetzt - die Vertretung des Tierschutzes ist gegenüber Forschung und Wissenschaft in der Minderheit und ist damit in den kritischen Abstimmungen häufig systematisch im Nachteil. Die Konsequenz ist, dass den meisten Forschungsvorhaben trotz ethischer und tierschutzrechtlicher Probleme häufig zugestimmt wird.

Grundsätzliche Fehlentwicklungen der Nutztierzucht 

Darstellung eines überzeuchteten Rindes
© Adobe Stock

Das Wohlergehen der Tiere gerät in der modernen Zucht vor dem Hintergrund der fortwährenden Leistungsoptimierung und Anpassung an Haltungs- oder Verarbeitungsziele in den Hintergrund. Die Folge sind Sauen, die mehr Ferkel gebären als sie Zitzen haben, Kühe, die von der Weide nicht mehr satt werden oder Hühner, die faserreiches Futter nicht mehr verdauen können. Das Beispiel der sogenannten Doppellendigkeit bei Rindern zeigt, wie eine zunächst positiv erscheinende natürliche Mutation weitreichende, nicht kalkulierte Folgen für das Tier mit sich bringen kann. Ein Gendefekt führte bei Fleischrindern dazu, dass ein Protein nicht mehr gebildet wurde, das für die Hemmung von Muskelwachstum zuständig ist. Die Fleischrinder weisen daher außerordentliches hohes Muskelwachstum auf und setzen insbesondere an den Hinterteilen übermäßig viel Fleisch an, daher der Name der Doppellendigkeit. Diese Rinder werden jedoch schon im Mutterleib derartig groß, dass die Geburt nicht mehr auf natürlichem Wege möglich ist und Mutterkühe häufig während der Geburt sterben. Für die lebenden Rinder bedeutet der übermäßige Fleischansatz starke Beeinträchtigungen in ihrem Bewegungsablauf und ihrer Physiologie. Aus diesen Gründen wird seit vielen Jahren gefordert, dass diese Zuchtlinien mit dem Qualzuchtparagrafen verboten werden müssten. Das Beispiel der Doppellender illustriert, wie weitreichend die Selektion auf eine zunächst günstig erscheinende Mutation sein kann und verdeutlicht, wie sensibel mit solchen Gendefekten verfahren werden sollte.

Privatisierung von genetischen Ressourcen

Besonders folgenreich könnte auch die Patentierung von Zuchtlinien sein. Unter der Leitlinie „Keine Patente auf Leben“ engagiert sich PROVIEH schon seit Jahren dafür, dass Nutztiere und ihre Genetik nicht unter ein Patent gestellt werden dürfen. Zuchtunternehmen versuchen schon seit langem, Patente auf bestimmte Zuchtlinien zu erheben, um die kommerzielle Nutzung dieser Genetik zu sichern. Diese Patente fördern gentechnische Verfahren, weil die besonders lukrativen veränderten Genabschnitte, wie etwa die für vermehrtes Muskelwachstum unter Patentschutz gestellt werden können. Die genetisch modifizierten Tiere gelten dann als patentgeschützte Erfindungen und können besonders gewinnbringend eingesetzt werden. In der europäischen Union werden heute noch keine genetisch veränderten Nutztiere eingesetzt oder gehandelt. Eine Zulassung wäre an strenge Leitlinien von europäischen Behörden gebunden und zusätzlich zur Kennzeichnung verpflichtet. In den USA wurden jedoch schon genetisch veränderte Schweine und Lachse für den Verzehr zugelassen.

Kurswechsel in der Tierzucht dringend notwendig

Als Gesellschaft insgesamt müssen wir uns den ethischen Fragen von Tierversuchen und Gentechnik stellen und unsere Position deutlich an die Forschung, an die Wirtschaft und an den Gesetzgeber herantragen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind Tiere unzureichend vor diesen manipulativen Eingriffen in ihre Genetik geschützt. Die derzeitige Gesetzgebung ist unzureichend und die zuständigen Gremien oft nicht unabhängig besetzt. PROVIEH spricht sich klar gegen diese gentechnischen Eingriffe am Erbgut von Nutztieren aus. Dem Optimierungswahn unserer “Nutz”tiere sollten klare Grenzen gesetzt und stattdessen die Haltungsbedingen besser an die Bedürfnisse der Tiere angepasst werden.  

Anne Hamester 

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