Artgemäß ist die Zukunft

Wie die Politik hohe Tierhaltungsstandards fördert und was es noch braucht für eine visionäre Tierhaltung 

Wir schreiben das Jahr 2023. Ein Großteil der „Nutztiere“ fristet ein Dasein unter miserablen, aber gesetzlich zulässigen Mindeststandards, reduziert auf Fressen, Schlafen und das Verrichten von Ausscheidungen. Immer wieder treten eklatante Missstände auf. Geht es allen Tieren so? NEIN! Einige mutige Leuchtturmprojekte und Initiativen bieten ihren Tieren ein artgemäßes Leben: Rinder, die auf der Weide grasen, Schweine, die im Erdreich wühlen und Hühner, die nach Würmern picken. Hier wird PROVIEHs Vision in die Tat umgesetzt. 

PROVIEH hat sich gefragt: Was kann die Politik für diese Leuchtturmprojekte tun? Im Wesentlichen erstrecken sich die meisten politischen Aktivitäten auf die tierschutzwidrige Seite der Tierhaltung und was getan werden muss, um die Mindeststandards zu fördern. Aber genauso wichtig ist es, artgemäße Formen von Tierhaltung zu fördern. Auch diese Projekte brauchen Unterstützung, um die Ideale einer zukunftsfähigen Tierhaltung in die Praxis umsetzen zu können. 

Rechtlichen Grundrahmen novellieren

Die gesetzlichen Vorgaben bilden den Rahmen, innerhalb dessen die Tierhaltung frei gestaltet werden kann. Hierzu zählen etwa das Tierschutzgesetz, die Tierschutznutztierhaltungsverordnung oder Bestimmungen zum Bau von Ställen und Mastanlagen. Zur Unterstützung einer artgemäßen Tierhaltung müssen Hürden in der Gesetzgebung abgebaut werden, sodass innovative Haltungssysteme leichter umgesetzt werden können. Betroffen hiervon sind in der Regel alle neuen, unbekannten Haltungsformen, die rechtlich Neuland sind. Freilandhaltungen im Wald oder unter Streuobstwiesen, der Einsatz von Mobilställen bei Geflügel und die Durchführung von mobiler Schlachtung sind Beispiele, die häufig an Genehmigungen scheitern. 

Förderungen unterstützen den Umstieg auf ein artgemäßes Haltungssystem

Eine artgemäße Tierhaltung mit mehr Platz, Auslauf, Einstreu oder Beschäftigungsmöglichkeiten verursacht höhere Kosten. Zum Teil können Mehrkosten durch höhere Preise am Markt ausgeglichen werden. Ein Teil der Kosten trägt der Betrieb aber häufig selbst, weil die Supermärkte, Metzgereien oder die Gastronomie die verbesserte Tierhaltung nicht finanziell hinreichend honorieren. Eine große Hürde sind die Kosten für den Umbau und Neubau von Ställen sowie die Anschaffung notwendiger Geräte und Materialien. Hier können gezielte Stallbauprämien für besonders hohe Tierhaltungsstandards sowie Startförderungen, etwa zum Aufbau einer Direktvermarktung, eine wichtige finanzielle Erleichterung bieten. Förderungen liefern daher wichtige Anreize, um auf ein artgemäßes Haltungssystem umzustellen.

Kompensation für gesellschaftliche Leistungen

Neben der Erzeugung von tierischen Lebensmitteln schaffen viele Initiativen hiermit zudem einen gesellschaftlichen Mehrwert: Die Gesellschaft fordert mehr Tierwohl. Außerdem kann eine Beweidung etwa zum Schutz der Artenvielfalt beitragen und regionale Produktionskreisläufe stärken die lokale Wirtschaft. Förderungen sind daher auch ein wichtiges Mittel, um die unbezahlten Leistungen zu honorieren. Neben einmaligen Zahlungen wie einer Stallbauprämie braucht es auch Förderungen, die regelmäßig und möglichst langfristig ausgezahlt werden. Zukunftsweisend wären etwa tierbezogene Prämien für eine kuhgebundene Kälberaufzucht, die Haltung von Weideschweinen oder den Einsatz von Zweinutzungshühnern. Wichtig sind aber auch Fördertöpfe, durch die Initiativen eine projektbezogene Förderung erhalten können. So kann etwa eine lokale Wertschöpfungskette aus Erzeugung, Verarbeitung und Handel aufgebaut und koordiniert werden. 

Förderung von Forschung und Praxiswissen 

Schlussendlich ist es wichtig, dass das Wissen über artgemäße Tierhaltungssysteme auch in der Lehre an Universitäten und Berufsschulen sowie in der Praxisberatung seinen Platz findet. Hier kann die Politik auf der Länderebene durch die Gestaltung von Lehrplänen großen Einfluss nehmen. Die Bedürfnisse der Nutztiere sollten zukünftig im Mittelpunkt der Bildung stehen. Darauf aufbauend sollte vermittelt werden, wie besonders artgemäße Tierhaltungssysteme gestaltet werden müssen, um sich als ernstzunehmende Alternative zur herkömmlichen Erzeugung zu etablieren. In der Praxisberatung kommt es darauf an, dass Betriebe in ihrer Region sowohl für die Ausrichtung ihrer Tierhaltung als auch für die praktische Umsetzung von artgemäßen Haltungssystemen professionell beraten werden. 

Kuh und Kalb auf einer Bergwiese, Foto: © Andreas P./stock-adobe.com

Politik für artgemäße Tierhaltung – Erfolgsbeispiele

In einigen Bereichen setzt sich die Politik jetzt schon mithilfe von Verordnungen und Förderungen für eine besonders artgemäße Tierhaltung ein. Wir haben hier einige gelungene Beispiele gesammelt:

Haltung: Strohschweine im Glück

In Thüringen wird seit Anfang 2022 die Haltung von Schweinen auf Einstreu und mit 20 Prozent mehr Platz im Stall gefördert. Die tierbezogene Prämie wird jährlich ausgezahlt, wobei die durchschnittliche Anzahl Großvieheinheiten (GVE) als Berechnungsgrundlage angenommen wird: Pro Mastschwein beträgt die Förderung ca. 16 bis 19 Euro, pro Zuchtsau 47 bis 55,5 Euro. So wird ein wichtiger Anreiz geschaffen, um Schweine auf Stroh, statt auf Spaltenboden zu halten. Auch in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bayern gibt es ähnliche Förderprogramme, wobei die Höhe der Prämien und die Auflagen für die Haltung variieren. 

Transporte: Milchviehkälber bleiben auf dem Hof

Im österreichischen Tirol wird seit Ende 2020 die regionale Kälbermast gefördert. Dafür müssen Kälber auf Betrieben in der Region geboren, aufgezogen und gemästet werden. Auch die anschließende Schlachtung muss in Österreich erfolgen. Bei der Fütterung darf statt Milchaustauscher nur Vollmilch verwendet werden, bei gleichzeitigem Angebot von Raufutter. Für Kälber bis drei Monate beträgt die Prämie 50 Euro pro Tier, für Kälber bis sechs Monate sind es sogar 150 Euro. Verbunden mit dieser Förderung ist die Auflage, dass in öffentlichen Kantinen in Österreich ausschließlich heimisches Kalbsfleisch verwendet werden darf. Eine solche Förderung kann wesentlich dazu beitragen, Kälbertransporte zu verringern und stärkt den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten für tierische Produkte aus besonders artgemäßer Haltung. In Baden-Württemberg soll es ab 2024 auch eine Prämie für die lokale Aufzucht von Milchviehkälbern geben. Für Kälber, die mindestens drei Monate auf dem Geburtsbetrieb verbleiben, sollen zukünftig 35 Euro pro Tier ausgezahlt werden.

Vermarktung: Bio-Weide-Rindfleisch in Kantine und Mensa

Das Forschungsprojekt GanzTierStark verfolgt das Ziel, das Angebot an Bio-Rindfleisch aus artgemäßer Weidehaltung in der Berliner Gemeinschaftsgastronomie zu erhöhen. Zunächst wurde dafür in den Kantinen und Mensen das Interesse an einem solchen Fleischangebot und der Beratungsbedarf für die Einrichtungen ermittelt. Beim Aufbau der Wertschöpfungskette wurden sowohl die Ganztierverwertung als auch rechtlichen Vorgaben, die Verfügbarkeit gewünschter Mengen und die Qualität der Fleischprodukte berücksichtigt. Abschließend wurden an Aktionstagen Gerichte mit Bio-Weiderindfleisch angeboten und Feedback eingeholt. Möglich gemacht wurde das Forschungsvorhaben durch eine Förderung aus dem Bundesprogram Ökologischer Landbau (BÖL). Das Projekt hat gezeigt, dass gerade in der Außer-Haus-Verpflegung noch viel zu wenig tierische Produkte aus artgemäßer Tierhaltung angeboten werden, obwohl das Interesse der Konsumten:innen sehr groß ist. Dieses Potenzial kann nur ausgenutzt werden, wenn der Einsatz solcher Produkte gezielt gefördert wird und vorhandene Hürden entlang der Wertschöpfungskette abgebaut werden. 

Bressehühner auf einer Wiese
Vier Bressehühner auf der Wiese

Zucht: Zweinutzungshühner – Eier und Fleisch gehören zusammen

Beim Forschungsprojekt „RegioHuhn“ geht es um die Züchtung von Zweinutzungshühnern. Durch die Kreuzung alter Hühnerrassen mit Hochleistungsrassen soll ein Zweinutzungshuhn entstehen, welches für die Erzeugung von Eiern und Fleisch gleichermaßen geeignet ist. Das Projekt hat viele Vorteile: Zum einen wird so der Erhalt gefährdeter Hühnerrassen gefördert. Wesentlich ist jedoch, die wirtschaftliche Haltung von Zweinutzungshühnern auszubauen. Ziel ist es, dass neben einer Haltung von Hühnern für die Eierproduktion auch die männlichen Tiere aufgezogen werden. Die Hähne der Zweinutzungsrassen eignen sich aufgrund ihres höheren Fleischansatzes besser für die Mast, als es bei den Bruderhähnen der typischen Hybridlegehennen der Falls ist. Das Projekt wird gefördert durch das Bundesprogramm Ökologischer Landbau (BÖL).

Diese Erfolgsbeispiele aus der Landespolitik zeigen uns gute Ansätze für eine bessere zukunftsfähige Tierhaltung.  Damit PROVIEHs Vision von grasenden Rindern, wühlenden Schweinen und Hühnern im Freiland sich verwirklicht, braucht es aber noch sehr viel mehr politische Unterstützung. 

Felicia von Borries

Infobox:

Kühe und Kälber gemeinsam auf der Weide auf Hof Tams

Die Bauerngemeinschaft Hamfelder Hof betreibt mit ihren 40 Mitgliedsbetrieben eine Bio-Molkerei in Schleswig-Holstein. 2021 haben sie sich mit ihrer Zukunftsmission neue Ziele gesetzt: So verpflichtet sich ab 2025 jeder Hof, auf mindestens 10 Prozent der Betriebsflächen einen eigenen Naturschutzplan umzusetzen, die kuhgebundene Kälberaufzucht einzuführen und zukunftsfähigere Arbeitsbedingungen auf dem Betrieb zu schaffen. Um diese und andere Maßnahmen zu finanzieren, braucht die Bauerngemeinschaft neben einem höheren Milchpreis auch Unterstützung von der Politik: „Um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren, wird über eine Anhebung der Mehrwertsteuer für Milch- und Fleischprodukte diskutiert. Das würde jedoch bedeuten, dass höherpreisige Erzeugnisse, etwa aus besonders artgemäßer Tierhaltung, stärker belastet werden als Preiseinstiegsprodukte. So entsteht eine Lenkungswirkung in Richtung der günstigeren Erzeugnisse. Stattdessen plädieren wir als Bauerngemeinschaft für einen Mehrwertsteuersatz von 0 Prozent auf zum Beispiel Bio-Lebensmittel. Ergänzt werden könnte eine solche Maßnahme um eine feste, preisunabhängige Abgabe pro verkaufte Einheit, wie sie in Form einer Tierwohlabgabe derzeit überlegt wird.“

Der Artikel ist erschienen im PROVIEH-Magazin 01-2023

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