Der Wannenhof Schneid

In dubio pro animali – im Zweifel für das Tier! 

Der Wannenhof Schneid liegt bei Kempten im Allgäu, gehört zu den HeuMilch Bauern und stellt sich seit über 30 Jahren der Herausforderung, eine möglichst artgemäße und wertschätzende Haltung von Rindern zu etablieren. Die PROVIEH-Fachreferentinnen Kathrin Kofent und Anne Hamester durften ihn dieses Jahr besichtigen und wurden von der Begeisterung der Betriebsleiter Andreas und Josef Schneid mitgerissen.

Die letzten Jahre hat sich der Wannenhof mit dem Leitgedanken in dubio pro animali verwandelt. Was haben Sie verändert?  

Seit der Übernahme des heutigen Betriebes durch meinen Vater Josef Schneid im Jahre 1988 hat sich der Betrieb stetig weiterentwickelt. Damals wurde der Grundstein für die heutige Tierhaltung gelegt. Wir versuchen seitdem kontinuierlich besser zu werden, am Zahn der Zeit zu sein, aber auch gegen den Strom zu schwimmen. So stellte mein Vater bereits 1989 auf die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise um und führte dann die Weidehaltung ein. Später wurde zunächst Kraftfutter abgeschafft und dann auf die tiergerechte Heufütterung umgestellt. Bei den Entwicklungen hatten wir oft das Gefühl, je stärker man gegen den Strom schwimmt, desto mehr ist man auf dem richtigen Weg.  

Ein Meilenstein und wichtiger Auslöser für vieles war sicherlich die Entscheidung für die mutter- und ammengebundene Kälberaufzucht. Wir haben uns jetzt fünf Jahre mit dieser Form der Aufzucht auseinandergesetzt, haben einen neuen Stall gebaut und ein System gefunden, welches unserer Meinung nach für Mensch und Tier sehr wertvoll ist. Der Stallneubau und die damit verbundene Umstellung von Anbinde- auf Laufstallhaltung schafft neue Möglichkeiten. Wir haben jetzt auch im Winter die Haltungsform, die wir uns für unsere Tiere wünschen.  

Auch die eigene Denk- und Sichtweise auf einen ganzheitlichen Betrieb musste wachsen. Schließlich gibt es ohne das Kalb auch keine Milch. Folglich gehört auch die Vermarktung aller Tiere in unseren Betriebskreislauf. 

So hat sich auch die Direktvermarktung aus den Kinderschuhen peu á peu weiterentwickelt. Damals wurde uns bewusst, dass auch unsere Bio-Kälber in der konventionellen Mast landen. Dies wollten wir den Tieren nicht mehr antun und stattdessen die Verantwortung bis zum Schluss übernehmen. Diese Verantwortung für die Tiere geht als Direktvermarkter von der Haltung der Tiere, über den Tod bis zur Ladentheke. Und so wird aus der Verantwortung für die Tiere, Verantwortung für die Menschen, die bei uns ihre Produkte einkaufen.   

Gerade in diesen Tagen ist es unerlässlich, die Menschen auf den Hof zu holen und die Stalltüren weit aufzumachen. Hier ist eine gute Haltungsform der Tiere Grundvoraussetzung. Viele Verbraucher haben weitestgehend den Bezug zur Landwirtschaft verloren. Nur wenn unsere Stalltüren offenstehen und wir die Verbraucher wieder zurück auf unsere Höfe holen, kann die Landwirtschaft wieder in die Mitte der Gesellschaft rücken. Hier hat jeder von uns in gewisser Weise auch einen Bildungs- und Aufklärungsauftrag.  

Sie erzählten mir, dass Sie sich heute nur wundern können, jahrelang Kälber kurz nach der Geburt von ihren Müttern getrennt zu haben. Was hat Sie zur kuhgebundenen Kälberhaltung motiviert? 

Eine Kuh mit ihrem Kalb auf einer Wiese
© PROVIEH

Als ich 2012 begann, mit auf dem Hof meines Vaters zu arbeiten, war ich anfangs für das Tränken der Kälber zuständig. Damals wurden die Kälber klassisch mit dem Eimer und Vollmilch getränkt. Seit vielen Jahren führen wir unsere Abkalbung zwischen Januar und Mai saisonal durch. Gerade in den ersten Lebenswochen hatten wir während der Wintermonate und der Stallhaltung oft Probleme. Durch die hohe Anzahl der Kälber in diesen Monaten herrschte großer Keimdruck und daraus resultierten Probleme mit Durchfallerkrankungen. Für diese Erkrankungen gibt man sich selbst die Schuld! Hatte die Milch nicht die richtige Temperatur? War der Eimer nicht sauber genug? Hat das Kalb zu schnell getrunken? Durch die unbefriedigende Situation entstand der Wunsch nach Veränderung. Damals haben wir uns bei einer Exkursion von der mutter- und ammengebundenen Kälberaufzucht am Hofgut Rengoldshausen inspirieren lassen.  

Wir sahen damals, wie gut die Kälber wuchsen und wie schön es für die Kühe war, wenn sie ihre natürlichen Instinkte ausleben durften. Und gleichzeitig wurde uns die Einfachheit des Systems klar, denn schließlich ist dafür nicht mehr nötig, als Kuh und Kalb zusammenzubringen. Daraufhin erschien es uns ganz logisch, die Verantwortung für die Kälber wieder an die Mütter zu übergeben. Denn wer könnte sein Kalb besser großziehen als die eigene Mutter? 

Darauf folgte eine Findungsphase. Wir setzten uns mit vielen Fragen auseinander: Was sind die primären Aufgaben einer Kuh? Was braucht ein Kalb? Wie sollte die optimale Kälberaufzucht aussehen? Wir probierten verschiedene Systeme aus, zunächst die ammengebundene Aufzucht, dann eine separate Haltung von Kälbern mit älteren Ammen auf einer Kälberweide. Doch als sich in uns erst einmal das Bewusstsein gefestigt hatte, dass die Kälber die bestmögliche Aufzucht genießen sollten, wurde uns schnell klar, dass diese Versuche nicht die Ziellösung sein konnten. Nur die Milch der eigenen Mutter kann für das Kalb die beste Milch sein. Aus diesen Gedanken und Erfahrungen heraus festigte sich der Wunsch, für unseren Betrieb eine optimale und finale Haltungsform für Kalb und Kuh zu finden. Somit widmete ich meiner Masterarbeit der wissenschaftlichen Untersuchung verschiedener Aufzuchtmethoden – heute wird die für das Tier und für unseren Betrieb vorteilhafteste Form bei uns praktiziert: 

Alle Kälber verbringen den gesamten Tag an der Seite ihrer Mütter auf der Weide und kommen nur für die Nacht als Kälbergruppe in den Stall. In dieser Zeit gewöhnen sich die Kälber schon an eine Zeit ohne die Mutterkuh. Die Kühe werden nur morgens, nicht aber am Abend, wie üblich gemolken, während der Nacht sind sie unter sich. Dieses System spart ungemein Arbeitszeit, ist für die Kälber optimal und für uns auch wirtschaftlich gesehen von Vorteil. 

Wie hat sich das Klima innerhalb der Herde verändert? 

Eine Kuh liegt mit ihrem Kalb auf einer Wiese
© PROVIEH

Kuh und Kalb genießen das tägliche Zusammensein auf der Weide sichtlich. Wenn man Kuh und Kalb zusammen auf der Weide beobachtet, ist zu erkennen, wie wohl sich die beiden mit der neu gewonnen Zeit zu zweit fühlen. Die Kälber lernen unheimlich früh und viel von ihren Müttern. Sie fangen früh an Raufutter zu fressen und genießen die Körperpflegeeinheiten ihrer Mütter. Die Kälber haben stattliche tägliche Zuwächse von etwa 1,3 Kilogramm pro Tag, sind unheimlich fit und agil. Die Kälber fühlen sich in diesem Herdenverbund sichtlich wohl und man merkt ihnen die Lebensfreude deutlich an. 

Jedoch fällt den Kühen dann die Trennung während der Nacht schwer. Sobald wir zulassen, dass Kuh und Kalb eine Bindung aufbauen, möchte diese von den Tieren gelebt werden. Bis sich alle Beteiligten an dieses System gewöhnt haben, vergehen oft mehrere Tage. Das Rufen der Mütter nach ihren Kälbern bleibt nachts oft nicht aus.  

Was erachten Sie als wichtigste Anforderungen einer artgemäßen und wertschätzenden Haltung von Rindern? 

Die wichtigste Leitlinie ist für uns: im Zweifel für das Tier. Wir müssen unsere Ställe und unsere Haltung den Tieren nach anpassen und nicht andersherum. Kühe sollten ihre Hörner mit Stolz tragen dürfen und Kälber folglich nicht weiter enthornt werden. So viel Weidegang wie möglich ist für die Tiere ein Genuss. Im Idealfall wird auf Kraftfutter verzichtet. Wir müssen unsere Betriebe als Ganzes sehen, Milch und Fleisch gehören unwiderruflich zusammen. Ein Anliegen ist bei uns, den Tieren auf Augenhöhe zu begegnen. Und im Zweifel: Zuerst das Tier, dann der Mensch. 

Worin sehen Sie in Ihrem Verfahren die größten Hürden? Worin den größten Nutzen? 

Nachteile der Diversifizierung sind sicherlich die Mehrkosten für beide Systeme. Hier hat ein Betrieb, der sich auf Milch spezialisiert, sicher Vorteile. An unserem System ist die Streuung des Risikos ein großer Vorteil. Und die abwechslungsreiche Arbeit macht unheimlich viel Spaß. Die Arbeit wird eher weniger und ist eine andere. Man wird mehr zum Beobachter und kann sich an der Zufriedenheit und Gesundheit der Tiere erfreuen. 

Heute verlässt kein Tier mehr den Hof. Was hat Sie zur Einführung der mobilen Schlachtbox gebracht? 

Da wir die Kälber und Kühe schon seit längerer Zeit selbst zur kleinen Lohnschlachterei begleiteten, wurde uns bewusst, wie gestresst die Tiere dort ankamen. Das wollten wir unseren Tieren nicht länger zumuten. Deshalb informierten wir uns über das Thema stressfreie Schlachtung. Die vorhandene Technik mit Kugelschuss und Schlachtbox erschien uns für unseren Betrieb nicht sinnvoll. Deshalb bauten wir einen eigenen Schlachtanhänger. Mit viel Energie und Überzeugungskraft konnten wir die Behörden nach zwei Jahren dazu bewegen, eine Probeschlachtung durchzuführen. Nach dem zweiten Versuch wurden der Hänger und das Schlachten am Hof genehmigt. Seitdem verlässt kein Tier mehr den Hof, stattdessen verbringen sie ihre letzten Momente in vertrauter Umgebung. 

Was ist Ihre Zukunftsvision für den Wannenhof Schneid? 

Unser Ziel für die nächsten Jahre ist es, alle Erzeugnisse des eigenen Hofes direkt ab Hof zu vermarkten. In diesem Zuge sollen neue Räumlichkeiten für die Vermarktung entstehen. Menschen statt Maschinen – eine Landwirtschaft, die von vielen Menschen als Hofgemeinschaft getragen wird, könnte ich mir gut vorstellen. Dann könnten weitere Geschäftszweige aufgebaut werden, wie Hühner, Obst, Gemüse und Beeren. Also alles, was das Sortiment eines kleinen Hofladens abrundet. 

Das Team von Wannenhof
© PROVIEH

Vielen Dank! 

Das Interview führte Anne Hamester 

März 2021

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