Pferde – geliebt, genutzt, gequält (Teil 2)

06.03.2014: In menschlicher Obhut wird der gesamte Lebensrhythmus des Pferdes durch den Menschen bestimmt. Je nach Haltungsform sind die Eingriffe für das einzelne Tier mehr oder weniger einschneidend. Erst seit Januar dieses Jahres ist die Ständerhaltung (Anbindehaltung), die in Bayern als letztem Bundesland verboten wurde, in ganz Deutschland tierschutzwidrig. In der Ständerhaltung standen die Pferde angebunden in kleinen Abteilen und konnten bestenfalls einen Schritt nach vorn und nach hinten machen. Die Enge erlaubte nicht einmal ein arttypisches Abliegen. Mittlerweile sind tiergerechte Haltungssysteme wie etwa die Gruppenhaltung in sogenannten Aktivställen auf dem Vormarsch. Der größte Teil der rund eine Million Ponys und Pferden in Deutschland wird aber immer noch in Boxen gehalten.

Problemfeld Boxenhaltung

Bei der Boxenhaltung sind die Pferde aus dem Sozialverband der Herde herausgelöst und zum Einzeltier degradiert. Sie stehen auf einem begrenzten Raum, teilweise sogar ohne jeglichen Kontakt zu Artgenossen. Ist dies der Fall, vereinsamen die Tiere seelisch. Zudem sind Pferde Fluchttiere. Sie wollen einen möglichst guten Überblick über ihre Umgebung haben, damit sie Gefahren frühzeitig erkennen können. Ist ihnen das möglich, sind sie psychisch ausgeglichener.

Die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) aus dem Jahre 2009 empfehlen eine Boxengröße nach folgender Formel: Zwei mal Widerristhöhe (Schulterhöhe) zum Quadrat. Dies bedeutet konkret, dass einem durchschnittlich großen Pferd von 1,65 Meter Widerristhöhe Platz von 10,9 Quadratmetern zur Verfügung stehen soll. Untersuchungen zeigen jedoch, dass zahlreichen Tieren weniger Platz zu Verfügung steht. Eine einfache Überlegung macht deutlich, wie sehr der empfohlene Platz das natürliche Verhalten eines Pferdes einschränkt: Ein Wildpferd verbringt 60 Prozent des Tages mit der Futteraufnahme, wobei es sich stetig vorwärts bewegt und dabei bis zu 30 Kilometer zurücklegt. Für Pferde ist es ideal, wenn sie möglichst häufig Futter in kleinen Portionen aufnehmen; lange Fresszeiten sorgen für Beschäftigung und befriedigen das Kaubedürfnis. Bei der üblichen Boxenhaltung mit rationierter Heufütterung hingegen frisst das Pferd nur an 16 Prozent des Tages – und hat dabei so gut wie keine Bewegung.

Ein Pferd in einer Box hinter Gittern
© Pixabay

Die oben genannten Empfehlungen sehen für alle Pferdehaltungen tägliche, ausreichende, „den physiologischen Anforderungen entsprechende Bewegung der Pferde“ vor. Allen Pferden, insbesondere aber Zuchtstuten, Fohlen und Jungpferden, müsse so oft wie möglich Weidegang und/oder Auslauf angeboten werden. Nun gibt es aber nicht wenige Pferde, deren einzige Bewegungsmöglichkeit unter dem Reiter stattfindet. Zwar legen solche Tiere im Training einige Kilometer zurück, doch dies entspricht nicht ihren natürlichen Bewegungsmustern. Im Extremfall leben Reitpferde über 20 Stunden täglich in „Einzelhaft“ auf engstem Raum bei schlechter Luft und hohem Staubeintrag. Pferde brauchen aber eine bestmögliche Luftqualität, denn ihre hochleistungsfähige Lunge verträgt nur staub- und bakterienarme Luft. Mangelnde Bedürfnisbefriedigung und Reizarmut in Boxenhaltung führen oft zu Verhaltensstörungen, zum Beispiel zum Fressen großer Mengen der Stroh-Einstreu, was zu Verdauungsproblemen bis hin zu gefährlichen Koliken führen kann. Wird dem Pferd zudem der Sozialkontakt zu Artgenossen ganz oder weitgehend verwehrt, steigt der Leidensdruck weiter und führt zum Belecken und Beknabbern der Stallwände und Türen, zum Treten und Schlagen dagegen, zum Barrenwetzen, Gitterbeißen, Kotfressen, Weben und Koppen. Auch gesteigerte Aggressivität oder Lethargie sind Ausdruck des Leidens.

Zusammenfassend überrascht es nicht, dass die häufigsten Ursachen für den Abgang, also für den Tod durch Schlachtung oder Einschläfern, Schäden an den Gliedmaßen, Atemwegserkrankungen sowie Koliken sind.

Der falsche Weg

Um dem frühen Tod oder Verhaltensstörungen vorzubeugen, steht für den hilfesuchenden Pferdehalter – ähnlich wie bei Hunden, Katzen und Kleintieren – ein großes Hilfsangebot bereit. Abhilfe für das „gelangweilte“ Tier sollen beispielsweise Spielbälle, Knabberkugeln oder Lecksteine schaffen, die an einem langen Band baumeln und den Pferden Abwechslung bringen sollen. Doch diese vermeintlichen Helfer bringen in der Regel dem Erfinder den größten Nutzen. Für das Tier selbst verlieren sie nach kürzester Zeit den Reiz. Auch Nahrungsergänzungsmittel sind sehr begehrt. Sie sollen beispielsweise gegen Gelenkbeschwerden, Unruhe oder Verdauungsprobleme helfen oder die Atemwege freihalten. Gebisse, Zäumungen und Hilfszügel sollen unausgelastete Pferde bremsen. Bandagen sollen Verdickungen der Beine verhindern oder kurieren. Der Markt der sogenannten Lifestyle-Produkte für das Pferd ist lukrativ. In Deutschland entfällt auf drei bis vier Pferde ein Arbeitsplatz. Der jährliche Gesamtumsatz in Pferdesport und -haltung lässt sich auf über fünf Milliarden Euro schätzen.

Alternativen zur Box – es geht auch anders

Zwei Pferde die sich Putzen
© Holger Langhagen

Natürlich leiden nicht alle Pferde und Ponys in Deutschland unter extremen Haltungsbedingungen. In vielen Fällen wurde schon für Verbesserungen gesorgt. Sie reichen von Gestaltung und Größe der Box (Fenster, Kontakt zu Artgenossen, vorgelagerter Einzelauslauf) bis zur temporären Boxenhaltung mit langem Auslauf auf Paddocks oder gepflegten Weiden. Doch auch zwischen diesen verbesserten Bedingungen und den ureigenen Bedürfnissen der einstigen Steppenbewohner liegen Welten. Der Mensch schränkt die essentiellen körperlichen und seelischen Lebensgrundlagen des Pferdes ein und passt es dem Menschen an.

Zahlreiche pferdehaltende Betriebe haben inzwischen eine Art Leuchtturmfunktion übernommen und dienen als Vorreiter, um zu zeigen wie pferdegerechte Haltung in die Praxis umsetzbar ist. Wichtige Schlagworte sind beispielsweise der „Aktivstall“ und das „Paddock Paradise“. Nun wird es Zeit für ein flächendeckendes Umdenken zum Wohle des Pferdes.

Kathrin Kofent

Diesen Artikel finden Sie auch im PROVIEH-Magazin 1-2014.